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Ein wildes Herz

Ein wildes Herz

Titel: Ein wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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gehören würde sie ihm nie. Wie ein Fisch im Glas glitt sie hierhin und dorthin und wurde, ohne sich dessen bewusst zu sein, immer mehr zu einem Geschöpf ihrer eigenen Phantasie und all der flackernden Bilder, die sie auf der Leinwand sah, in Sepia und Platinweiß. Ihre Stimmungen waren so launisch wie die Wolken über den Blue Ridge Mountains, und wenn sie so wetterwendisch war, fuhr urplötzlich ein eiskalter oder auch glühend heißer Wind durch ihre Gespräche, ihr Liebesspiel, doch das machte für ihn keinen Unterschied. Nun, wo er ihr einen Antrag gemacht hatte, wo er ihr gesagt hatte, welche Absichten er hegte, wollte er auch spüren, dass alles auf eine Entscheidung hinauslief, auf die Erfüllung seiner Wünsche. Doch sie war wie das Quecksilber in der Säule, mal eisig, mal fiebrig, und gab nichts zu erkennen. Ihre düstere Kälte erhitzte ihn ebenso wie ihr plötzliches, unerklärliches, hell leuchtendes Feuer.

20. KAPITEL

    C laudie, geh mit mir ins Kino.«
    »Was soll ich denn da, Mädchen?« Die Schwarze raffte den himmelblauen Leinenstoff zusammen, nahm eine Stecknadel aus dem erdbeerförmigen Nadelkissen, das sie sich ums Handgelenk gebunden hatte, und steckte die Falten an Sylvans Hüfte fest. Es war eine neue Saison, Sylvan hatte neue Sachen in den Magazinen gesehen, und so waren sie nach Staunton gefahren und hatten mehrere Ballen Stoff gekauft, um Sylvans Kleiderschrank mit der neuesten Mode aufzufrischen. Sylvan erschuf sich neu wie ein Hollywood-Sternchen. Sie war eine Ausgeburt der Phantasie in einem kleinen Ort im Nirgendwo, in dem man nur allzu gut wusste, wie hart die Wirklichkeit sein konnte, einer Stadt, die mit einer Mischung aus Belustigung und offenem Hass auf ihre seltsame Freundschaft mit dieser unangepassten schwarzen Frau blickte. Die Schwarzen waren aus einem bestimmten Grund da, und eine Freundschaft mit ihnen kam nicht in Frage.
    »Das Kino ist etwas Herrliches. Es ist all das, was es hier nicht gibt. Es ist schön, wunderschön. Man muss darüber lachen, selbst wenn man todtraurig ist. Alles ist anders, immerzu. Und die Menschen sind so schön.«

    Weil Claudie alles wusste, wusste sie auch ganz genau, wer Sylvan war, woher sie stammte, und sie wusste, dass die Freundschaft mit einer Weißen nicht sein durfte. Doch wie bei den meisten Dingen, die ihr gleichgültig waren  – was für fast alles außer ihrer Tochter galt  – war ihr auch das egal. Sie mochte diese Landpomeranze. Sylvan redete nicht geschwollen daher, wenn sie mit ihr zusammen war, und sie wusste, warum. Und so hörte man ihr immer noch die Einsamkeit ihrer Kindheit im Tal draußen an.
    Wie alle weißen Frauen stellte Sylvan zu viele Fragen, als gäbe es Dinge, von denen sie glaubte, sie hätte ein Recht darauf, sie zu erfahren, auch wenn sie sie einen feuchten Kehricht angingen. Die Weißen glaubten, Schwarze hätten kein eigenes Leben, keine eigenen Pläne und Wünsche, und vielleicht stimmte das für die meisten sogar. Doch Claudie Wiley gehörte niemandem, das hatte sie nie getan und würde es auch nie.
    »Wo ist denn deine Kleine?«
    »Oben, wie immer.« Niemand ging nach oben, über die Werkstatt hinaus, in der Claudie nähte. Und selbst bis hierher schaffte es nicht jede. Sollte Claudie keine Lust haben, an die Tür zu gehen, wenn es klopfte, spähte sie nur kurz durch den Vorhang nach draußen und machte nicht auf.
    »Geht sie nie raus? Ich hab sie noch nie irgendwo gesehen.«
    »Sie geht nicht raus. Schon seit Jahren nicht mehr.«
    »Warum?«
    »Es macht ihr Angst, auf die Straße raus zu gehen. Sie ist schon erwachsen. Es ist ihre Entscheidung. Hat keine einzige Freundin auf der Welt. Alle haben sie ausgelacht, und jetzt will sie nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Das hat seine Gründe.«

    »Was für Gründe?«
    »Wenn du sie kennen würdest, wüsstest du, was ich meine.«
    »Die Leute sagen, sie ist… sie ist …«
    »Ich weiß, was die sagen.«
    »Muss hart sein, so eine Tochter zu haben.«
    »Was meinst du mit ›so‹?« Mit jedem Wort klang Claudie schärfer, verbitterter.
    »So wie die Leute sagen. Dass sie nicht richtig im Kopf ist.«
    »Sie ist in Ordnung. Die Leute reden zu viel. Wir leben unser Leben. Es ist in Ordnung. Die Leute sind uns schnuppe.«
    »Wie heißt sie?«
    »Evelyn. Evelyn Hope Wiley.«
    »Wer ist der Vater? Wo ist er?«
    Claudie warf Sylvan einen Blick zu, der das Gespräch im Keim erstickte. Einen harten Blick. Eine Weile nähte sie vor sich hin, und das Mädchen

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