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Ein wildes Herz

Ein wildes Herz

Titel: Ein wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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war wenigstens so klug, nichts zu sagen, während Claudies flinke Finger sich an dem Leinen rund um ihre Hüften zu schaffen machten.
    Dann endlich sprach sie, den Mund voller Stecknadeln.
    »Er war nur ein Junge. Aber er hat mich rumgekriegt, ja. Ich wollte nicht, das habe ich ihm auch gesagt, aber er hat es trotzdem geschafft. Er sah gut aus, war clever. Das muss ich zugeben. Er war mein Erster. Ich hab es niemandem gesagt, bis der Punkt kam, wo ich musste, und selbst da verriet ich niemandem seinen Namen. Er ist im Krieg gefallen. Sein Name war Lomax. Ganze neunzehn wurde er. Wusste nicht mal, dass er ein Kind hatte.«
    Sie nähte weiter. »Willst du sie sehen? Wäre damit das Gespräch beendet?«

    »Ich würde sie gerne kennen lernen.«
    Claudie schaute sie an, mit einem Ausdruck puren Hasses. Sie stand auf, ging zum Fuß der Treppe und rief leise hinauf: »Evelyn Hope? Mama braucht dich. Könntest du bitte runterkommen?«
    Dann wandte sie sich um und starrte Sylvan unerbittlich an, während beide auf die Schritte auf der Treppe lauschten. Langsame, leise Schritte. »Sie ist kein Tier im Zirkus, weißt du.«
    Noch ein paar Schritte, dann war sie da.
    Sie war groß, größer als Claudie, schlank und hübsch. Und sie war weiß.
    »Sag hallo zu Mrs. Glass, Evelyn Hope.«
    »Hallo, Ma’am«, sagte das Mädchen. »Wie geht es Ihnen?«
    »Mir geht’s gut, Evelyn Hope«, sagte Sylvan. »Schön, dich kennen zu lernen. Du bist ein hübsches Mädchen. Du musst sehr glücklich sein.«
    »Mir geht’s gut«, sagte das Mädchen. »Mama? Brauchst du mich für etwas?«
    »Ich brauch dich immer, Kind. Aber jetzt nicht. Du kannst wieder hoch gehen, Liebes. Ich komm bald nach.«
    »War schön, Sie kennen zu lernen«, sagte Evelyn Hope und machte einen Knicks vor Sylvan, die absurderweise zurückknickste. Dann verschwand sie im Dunkeln und ging die Treppe hoch.
    Claudie wandte sich voller Zorn Sylvan zu. »Und jetzt, Mädchen? Ist das genug? Ihr Vater war weiß. Ein weißer Junge. Ist das genug? Willst du mehr wissen? Oder reicht das?«
    »Ich denke schon.«
    »Gut. Sie bleibt im Haus. Die Schwarzen wollten sie nicht, und die Weißen auch nicht, nicht einmal zum Bodenschrubben.
Du bist der letzte Mensch auf Gottes Erde, der das erfährt.«
    »Warum der Name? Warum Evelyn Hope?«
    »Mir gefiel einfach der Klang. Wie Musik. Evelyn Hope. Sie sitzt den ganzen Tag in ihrem Zimmer. Sie hört Radio. Raucht Zigaretten. Seit sie fünf Jahre alt war, war sie nicht mehr draußen.«
    »Und wie alt ist Evelyn jetzt? Evelyn Hope?« Sylvan sah Claudies Blick, so flink, wie ein Streichholz aufflammt, und spürte den Stich einer Nadel an ihrer Hüfte.
    »Sie ist neunzehn.«
    »Dann bist du …?«
    »Älter als Jesus, als er starb.«
    »Merkt man kaum.«
    »Die meisten Leute wissen auf die Minute genau, wie alt ich bin. Die Leute in der Gegend wissen einfach viel zu viel. Die beobachten uns beide, dich und mich. Wenn wir ins Kino gehen, dann werden sie uns nur noch genauer beobachten.«
    »Wenn du denkst, das kümmert mich, dann täuschst du dich.«
    »Das ist deshalb, weil du reich bist. Und weil du weiß bist. Dir kann es egal sein.«
    »Aber wir sind Freundinnen.«
    »Ja, sind wir. Wir sind Freundinnen. In diesem Zimmer hier. In diesem Moment.«
    »Andere Freunde habe ich nicht. Keinen einzigen.« Sylvan sagte lange nichts. »Na ja, doch, schon. Einen Freund habe ich.«
    Claudie rückte die Biesen an der Hüfte zurecht. Sylvan schaute aus dem Fenster, zuckte nicht einmal zusammen, als Claudie sie noch einmal mit einer Nadel stach. Sie fragte sich, ob Claudie sie überhaupt gehört hatte.

    »Ja. Ja, ich habe jemanden.«
    »Der dich glücklich macht?«
    »Er ist das Einzige, was mich jemals glücklich gemacht hat. Der Einzige, der jemals zu mir gehört hat. Ich liebe ihn, o ja, und ich kann es ihm nur zeigen, indem ich niemandem ein Sterbenswörtchen über ihn verrate, niemals. Das hat er mir gesagt. Hast du das verstanden, Claudie? Niemandem.«
    Claudie nickte.
    »Aber er ist nicht … er ist kein Freund. Das meine ich nicht.«
    »Ich weiß, was du meinst. Warum bist du dann nicht mit ihm zusammen?«
    »Ich bin verheiratet.«
    »Dann beende deine Ehe. Weiße können das.«
    »Das ist nicht so einfach.«
    »Das ist es nie.«
    »Es ist wie im Film. Dinge passieren einfach. Göttlich. Bitte, geh mit mir ins Kino!«
    Und eines Tages taten sie es tatsächlich. Claudie Wiley war die erste schwarze Frau in Brownsburg, die auf dem Beifahrersitz

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