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Ein wildes Herz

Ein wildes Herz

Titel: Ein wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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eines Wagens mit einer weißen Frau am Steuer saß. Die Leute, die bereits wussten, was sie wussten, aber nicht darüber redeten, fanden, mit Claudie auf dem Beifahrersitz in der Gegend herumzufahren sei nur ein weiteres Beispiel für die Unverfrorenheit dieses Mädchens vom Lande, und sie wussten auch, wenn Boaty es erfuhr, wäre er wütender darüber als über die andere Sache.
    Der Film hieß Heut’ gehen wir bummeln und handelte von drei Matrosen, die nur einen Tag Landgang in New York haben und auf der Suche nach der wahren Liebe sind. Sylvan bezahlte beide Tickets, doch sie und Claudie mussten das Kino durch verschiedene Türen betreten, und Claudie saß
als Einzige oben auf dem Rang, eine schwarze Frau ganz allein im Dunkel, am helllichten Nachmittag. Und dann breitete sich New York vor ihr aus, in Technicolor, die Stadt, die sie einst hätte sehen, ja, in der sie vielleicht hätte leben können. Sie fragte sich, was sie hier machte, warum sie hier im Dunkeln saß und einer Gruppe Weißer zusah, die in einer großen Stadt, die sie niemals sehen würde, sangen und tanzten und küssten, und sie suchte die silbrige Leinwand nach wenigstens einem schwarzen Gesicht ab, und es gab keins, nicht ein einziges, höchstens ganz weit hinten.
    Sie saß da, mit ihrem Zeichenblock, und skizzierte mit flinken und gekonnten Zügen die Kleider, die die Frauen in dem Film trugen. Sie wusste genau, welches dieser Kleider sich Sylvan wünschen würde, sobald sie es sah, und dann sah sie noch mehr, sie sah, wie es sich bewegte, als einige Frauen darin durch ein Museum steppten, und sie zeichnete schneller, bemühte sich um jedes Detail, bis sie es praktisch dort im Kinosaal nähte, bis sie fast den Stoff unter ihren Fingern spürte und den Rock bereits um die Beine des schönen Südstaatenmädchens wirbeln sah, das da unten bei den Weißen saß. Nicht für sich selbst zeichnete sie, niemals für sich selbst, und ganz gewiss nicht für Evelyn Hope, obwohl Claudie manchmal für sie beide schöne Partykleider aus der Vogue schneiderte. Dann machte sie ein Kleid für sich selbst, zum Beispiel ein schickes Ballkleid aus einem komplizierten Schnitt und mit raffinierten Raffungen, und dann genau das gleiche für Evelyn Hope, und sogar noch ein kleines, genauso schönes und ausgetüfteltes für Evelyn Hopes Puppe, ein kleines weißes Ding, das sie überallhin mitnahm und dessen Haarschopf nach all den Jahren längst völlig verfilzt war. Diese Kleider trugen sie dann abends, wenn sie für sich und ihre Tochter einen Braten zubereitete und einen
Kuchen buk, und dann saßen sie wie zwei aufgeputzte Prinzessinnen in dem unordentlichen dunklen Schlund ihres Hauses, bei Kerzenlicht, und die Mäuse huschten raschelnd durch die Schränke, während sie zähes Lamm und einen üppigen Schokoladenkuchen verzehrten. Es waren Partykleider, Kleider, die nichts mit ihrem richtigen Leben zu tun hatten und die ihr heruntergekommenes Haus in eine Art Palast verwandelten.
    Doch bei diesem Kleid im Film, diesem grünen Kleid, wusste Claudie, ohne zu fragen, dass es für Sylvan war. Einmal hörte sie sogar, wie Sylvan während des Films »Claudie?« rief, und da wusste sie, wusste es ganz sicher, dass sie es für sie anfertigen würde.
    Es war leuchtend grün, schmal am Körper und mit weitem Rock, durchgeknöpft vom Saum bis zum Kragen, einem Kragen, der aus schwarz-weiß gewürfelter Seide und gerollt war, ganz aus feinster Seide. Doch erst als die Frau sich in dem Kleid bewegte und darin zu tanzen begann, sahen die beiden den eigentlichen Zauber des Kleides. Während Ann Miller tanzte, öffnete sich das Kleid nämlich immer weiter wie ein Fächer, und man sah, dass es innen mit dem gleichen schwarz-weißen Karostoff gefüttert war wie dieser tiefe, spitz zulaufende Kragen, der ihre schönen Schlüsselbeine und den Hals gut zur Geltung brachte und ihr eher gewöhnliches Gesicht mit jenem besonderen Schein übergoss, den nur die Frauen in den Filmen hatten, wenn sie lächelten.
    Genau das war der Moment gewesen, wo Sylvan Claudies Namen rief: als sich das Kleid öffnete und das Futter wie ein Teller über den Beinen der Frau wirbelte. Seide wie die Schwingen eines Vogels, die ihr um die Hüften und die wild wirbelnden Beine flatterte, der Rock, in dessen anmutigem Grün immer wieder das schwarz-weiße Futter aufblitzte, so
elegant, so frisch, und immer in Bewegung. Es war die besondere Tatsache, dass sich das Kleid erst dann offenbarte, nachdem seine

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