Ein wildes Herz
die sich im Gleichklang bewegten, machten Geräusche, ein
saugendes Geräusch, wie Stiefel in weichem Schlamm. Irgendwie wusste Sam Bescheid. Er wusste, dass er das hier nicht sehen sollte, dass es etwas Privates war, so wie man die Tür nicht öffnen soll, wenn jemand anderes im Bad ist. Er wusste, dass er diese Geräusche nicht hätte hören sollen, dass es private Geräusche waren und dass sie, ganz gleich, was sie bedeuteten, nicht für seine Ohren bestimmt waren.
Doch jetzt wurden die Geräusche, die vom Bett kamen, heftiger, Sylvan bewegte den Kopf hin und her, und Charlies Atem kam in Stößen, nicht aus seiner Nase, sondern aus dem Mund. Gleich würde jemandem wehgetan. Jemand hatte Schmerzen. Längst konnte Sam nicht mehr sagen, welche Geräusche von welcher Person kamen, sie schienen von irgendwoher im Zimmer zu rühren, und er wünschte, die japanische Dame würde den Kopf abwenden, wünschte, er könne den Platz verlassen, an dem er auf der Schwelle stand, doch er schaffte es nicht.
Er machte sich in die Hose. Er spürte, wie es warm in seine Jeans lief, und schämte sich plötzlich dafür. Er begann zu weinen, zuerst geräuschlos und dann lauter, und dann heulte er, und das veränderte alles, denn sie hörte ihn, nur Sylvan hörte ihn, denn Charlie war in seinem eigenen heulenden Atmen verstrickt, und sie versetzte ihm einen Klaps auf die Schulter, einmal, ganz hart und flach, wie wenn man mit der Hand an einen heißen Herd kommt, und schrie: »Charlie, Charlie, der Junge!«, und Charlie, der sich gerade noch so heftig gekrümmt hatte, blickte auf, sah den Jungen, und auf einmal bewegte sich alles, ihre Körper, Gesichter, die Laken, die japanische Dame kippte vom Tisch, fiel mit lautem Getöse auf den Boden und ging kaputt, sodass das Zimmer plötzlich in eine Beinahe-Dunkelheit gehüllt war, ein tiefes Violett, das jedoch nicht so dunkel war, dass Sam nicht
Charlies Körper gesehen hätte, seinen ganzen Körper. Charlie bedeckte sich züchtig mit einem Laken, voller Scham wie Adam, als er Gott sah, während er von Sylvan weg aus dem Bett sprang, wie eine Katze über den Boden rollte, lief, auf die Knie fiel und Sam in die Arme nahm und seinen zitternden Körper an sich drückte, ihn beschwichtigte, ihm ins Ohr flüsterte, wieder und wieder über sein Haar strich, seinen Rücken, ihm die Tränen vom Gesicht wischte, ihn auf die Wange küsste, den Hals, was er noch nie getan hatte, und schließlich holte er Luft und sagte: »Alles okay, Sam. Es ist nichts. Jetzt ist es vorbei. Bitte, Sam. Alles ist in Ordnung.«
Und dann hielt er ihn in den Armen, ohne darauf zu achten, dass Sams Hose nass war, dass er Angst hatte und sich schämte, er hielt ihn einfach in den Armen, jetzt ganz entspannt, und es schien ihm egal zu sein, dass er sich mit seinem nackten Körper an Sam klammerte. »Alles ist okay, Sam. Sam, schau mich an.« Er tat es. »Alles ist bestens. Bestens, mein Junge.«
Er hielt ihn in den Armen, bis er aufhörte zu weinen und bis Charlies Schultern feucht waren von seinem eigenen Schweiß und von Sams Tränen, bis Sam sich beruhigt hatte und einen Schritt von Charlie wegtrat, wieder allein dastand und über Charlies Schulter hinweg zu Sylvan schaute, die im Bett saß, die Laken fest um sich gewickelt, und sich das Haar flocht, als wäre gerade nichts geschehen in diesem Zimmer, als wäre jetzt nicht alles anders als vorher, und das Licht war nicht mehr rosa, sondern violett und wurde langsam schwarz, weil die japanische Dame zerbrochen war und in tausend Scherben auf dem Boden lag.
»Okay? Alles in Ordnung? Wir gehen jetzt heim, Kumpel. Wie gehen heim zu deiner Mama und deinem Daddy.«
»Aber ich weiß nicht, wo Jackie Robinson ist.«
»Wir finden ihn. Mach dir keine Sorgen. Er kommt schon, wenn wir ihn rufen. Er ist ein braver Hund. Und, Sam? Sam? Du bist ein braver Junge. Warte einfach unten. Warte nur eine Minute, und ich komme runter.«
Sam tat, wie ihm geheißen. Er ging nach unten und wartete. Kurz darauf war Charlie da, mit offenem Hemd, die Schuhe in der Hand. Die Küche war hell erleuchtet, und Charlie ließ seine schweren Schuhe auf den Linoleumboden fallen, knöpfte sich zu, steckte das weiße Hemd in den Hosenbund und setzte sich, um sich die Schuhe zuzubinden. Dann stand er auf, nahm Sam an der Hand, und beide traten auf die Veranda. Jackie kam bereits auf Charlies ersten Pfiff. Dann saßen sie im Pick-up und wendeten rasch, das Führerhaus heizte sich auf, und alles war genau
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