Ein Wirbelwind namens Millie (German Edition)
weiter Butter auf sein Brot. „Ich habe eine große Auswahl an Brillen im Laden und auch eine Sehtafel.“
„Wo wir gerade von medizinischen Dingen reden ...“ Velma hob warnend ihr Messer. „Das ist jetzt kein Tratsch, sondern die bittere Wahrheit. Doktor Wicky, der Arzt in der Stadt, ist ein Quacksalber.“
Tim nickte. „Die Stadt ist per Vertrag verpflichtet, ihn noch zehn Wochen auszuhalten. Jeder, der irgendwie Hilfe braucht, setzt sich entweder in den Zug oder ruft Velma.“
„Der Herr hat Velma mit der Gabe gesegnet, sich um die Kranken zu kümmern.“ Eine zarte Röte stieg Sydney ins Gesicht. „Wenn meine Zeit kommt, könnten keine liebevolleren Hände unser Baby auf die Welt holen.“
„Ich habe schon einige der Babys gesehen, die Velma auf die Welt geholt hat. Ihres wird sicher ein wunderschönes kleines Wesen.“ Millicent spürte Daniels sanfte Berührung auf ihrem Arm. Sie verstand ihn sofort und reichte ihm den Honig. Er mochte Butter und Marmelade auf Hörnchen, aber Butter und Honig auf Brötchen.
„Vielen Dank, meine Liebe.“
Meine Liebe. Seit einiger Zeit nannte er sie so. Er senkte seine Stimme immer ein bisschen, wenn er es sagte – als würde sich tatsächlich wahre Zuneigung hinter dem Kosenamen verbergen. Es gab ihr immer ein seltsam zufriedenes Gefühl, wenn er sie so nannte. Um wieder in die Realität zurückzukehren, fragte sie ihn, wie Arthur als kleines Baby ausgesehen hatte.
„Arthur war glatzköpfig und voller Falten, als er geboren wurde. Wenn ich genau darüber nachdenke, fehlte ihm eigentlich nur ein Monokel – dann hätte er genauso ausgesehen wie der Arzt, der ihn auf die Welt geholt hat.“
Isabelle musste kichern. „Ein Monokel. Für das Baby.“ Plötzlich erstickte ihr Kichern in Tränen. Lautes Schluchzen brach aus ihr heraus.
Sofort sprang Daniel auf, zog Isabelles Stuhl zurück und nahm sie auf seine starken Arme, während Mrs Orion Millicent den kleinen Arthur abnahm. Millicent flog die Treppe hinauf zu dem Zimmer, das sie mit ihrer Schwester teilte, und deckte das Bett auf, damit Daniel Isabelle hineinlegen konnte. Velma folgte Daniel auf dem Fuß und zog Isabelle sofort die Stiefel aus.
Isabelle rollte sich auf die Seite und zog ihr Kissen an die Brust. Ihre bebenden Schultern verrieten, wie tief ihre Verzweiflung war. Wortfetzen kamen ihr über die Lippen, und das, was Millicent verstand, brach ihr fast das Herz. Niemals würde Isabelle ein Baby von Frank bekommen.
„Gibt es etwas, das wir ihr geben können?“, fragte Daniel.
„Zeit.“ Velma ließ die Stiefel auf den Boden fallen. „Ich halte nichts davon, den Schmerz mit Laudanum oder irgendwelchen Pülverchen zu unterdrücken. Das schiebt den Schmerz und die Trauer nur auf die lange Bank. Zeit und liebevolle Aufmerksamkeit ist das Einzige, was ihr jetzt helfen kann.“
Langsam streckte Daniel die Hand aus und legte seine große, starke Hand um Millicents. Ein Gefühl der Wärme und Sicherheit umfing sie, als er sie näher zu sich zog. Dann legte er seine andere Hand sanft auf Isabelles Schulter und neigte den Kopf. „Herr, wir befehlen dir unsere Schwester Isabelle an. Du kennst die Trauer und den Schmerz, der sie jetzt überwältigt. Wir wissen, dass sie und Frank in der Ewigkeit wieder vereint sein werden, und dafür danken wir dir. Trotzdem verstehst du auch unsere Trauer. So, wie Jesus Christus am Grab von Lazarus geweint hat, schreit Isabelles Herz jetzt zu dir. Schenk ihr Ruhe und Heilung und sei ihr nahe in ihrem Schmerz. Das bitten wir dich, Amen.“
Tränen strömten über Millicents Gesicht. Ohne sich darum zu kümmern, versuchte sie zu sprechen, aber ihre Stimme wollte ihr nicht gehorchen. Sie hoffte, dass Daniel ihre Lippen lesen konnte, als sie das Wort Danke formte.
Dann verließ Daniel das Zimmer, und es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis sie Isabelle aus ihren Kleidern und Unterröcken befreit hatten. Ungeduldig zog Velma an den Korsettbändern. „Idiotisches Ding. Wenigstens trägt sie nicht auch noch eine Turnüre und diesen blöden Reifrock mit den kleinen Reifen, durch die kaum ein Hahn hüpfen kann.“
Isabelles Schluchzen wurde leiser, und bald rollten nur noch Tränen der Erschöpfung über ihre Wangen. Als sie endlich nur noch ihr rosa Nachthemd trug, drückte sie das Kopfkissen wieder eng an sich.
Velma zog die letzte Haarnadel aus Isabelles Haaren. „Zeit und Zärtlichkeit ... und Tränen. Denken Sie daran.“ Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer, und
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