Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)
angekündigt. Ich notierte mir Datum, Uhrzeit und Namen, bevor ich den Inhalt des Schließfachs einzeln verpackte und beschriftete. Dann klebte ich es mit Malerkrepp zu, überreichte Mr. Huber meine Karte und machte mich auf den Weg nach Hause.
Ich musste erst einmal drei Zentimeter Schnee von der Windschutzscheibe entfernen, ehe ich zum Folly zurückfahren und den Asbo sicher in der Garage verstauen konnte. Dann meisterte ich den Aufstieg über die eisüberzogene Außentreppe zum Obergeschoss der Remise, wo ich meinen Fernseher, die Stereoanlage, meine Laptops und die übrigen Annehmlichkeiten des 21. Jahrhunderts aufbewahre, die einer Verbindung zur Außenwelt bedürfen. Es ist nämlich so, dass das Folly mit einem magischen Schutzwall (der Ausdruck stammt nicht von mir) ausgestattet ist, der anscheinend geschwächt würde, wenn man ein vernünftiges Kabel von außen ins Haus verlegt. Ein Drahtlosnetzwerk wollte ich nicht, weil ich da von der Sicherheit nicht überzeugt bin, außerdem fand ich es schön, einen Ort fast ganz für mich zu haben.
Ich zündete den Ölofen an, den ich aus dem Keller des Folly geholt hatte, nachdem mein elektrischer Heizlüfter die Kapazität der antiken Sicherungen der Remise zum dritten Mal gesprengt hatte. Dann plünderte ich meinen Notvorrat an Knabberzeug und nahm mir fest vor, ihn so bald wie möglich wieder aufzufüllen und außerdem meinen kleinen Kühlschrank entweder endlich zu putzen oder ihn offiziell zur biologischen Hochrisikozone zu erklären. Da noch etwas Kaffee und eine halbe Packung Kekse vonMarks and Spencer mit echtem Keksgeschmack da waren, beschloss ich, erst meinen Papierkram zu erledigen, bevor ich in Mollys Küche einfiel.
Ich brauchte zwei Stunden, um Hubers Aussage und meinen eigenen durch James Gallaghers Arbeiten gestützten Verdacht auf eine Veränderung von dessen Persönlichkeit in ordentliche Schriftform zu bringen. Um nicht vor Langeweile einzuschlafen, googelte ich zwischendurch Ryan Carroll und versuchte herauszubekommen, ob Gallaghers Interesse an ihm von Interesse war. Carrolls Biografie war recht karg: in Irland geboren und aufgewachsen und bis vor kurzem in Dublin ansässig. Am besten bekannt war er für eine Installation einiger Crofter-Hütten aus Lego, deren Dächer aus alten Bibliotheksexemplaren irischer Klassiker bestanden, überzogen mit einer Schicht Pferdemist. Für den früheren James Gallagher erschien mir das nicht niedlich genug, für den späten zu wenig düster. In Onlinezeitschriften fand ich mehrere Kritiken, alle aus den letzten Monaten, in denen Carrolls neueste Arbeiten hoch gelobt wurden, sowie ein Interview mit ihm, in dem Carroll betonte, wie wichtig es sei, die industrielle Revolution als Bruchstelle zwischen dem Menschen als spirituellem Wesen und dem Menschen als Konsumenten zu begreifen. Jemand wie er, der in Irland aufgewachsen sei und Aufstieg und Fall des keltischen Tigers aus nächster Nähe miterlebt habe, besitze einzigartige Einsichten in die Entfremdung von Mensch und Maschine – fand zumindest Carroll. Seine neuen Arbeiten zielten vornehmlich darauf ab, unsere gewohnte Perspektive auf die Schnittstelle Mensch/Maschine in Frage zu stellen.
»Wir sind Maschinen«, wurde er zitiert. »Dazu da, umNahrung in Scheiße verwandeln. Und wir haben andere Maschinen entwickelt, die uns noch effektiver machen – damit wir noch mehr Nahrung in noch mehr Scheiße verwandeln können.« Ich bekam den Eindruck, dass er als jemand galt, den man im Auge behalten sollte, vielleicht nicht unbedingt beim Essen. Ich nahm diese Details in meinen Bericht auf – ich war mir nicht sicher, wie signifikant es war, wenn ein Kunststudent eine Kunstgalerie besuchen wollte, aber in der modernen Polizeiarbeit ist die goldene Regel, dass man besser erst mal alles in den Topf wirft. Seawoll, oder wahrscheinlicher Stephanopoulos, würde es sich durchlesen und entscheiden, ob die Spur weiterverfolgt werden sollte oder nicht.
Ich rief das stationäre Ermittlungsteam in Belgravia an – das sind die Leute, die für die Datenerfassung zuständig sind – und fragte, ob ich ihnen meine Ergebnisse mailen sollte. Sie hatten nichts dagegen, vorausgesetzt, ich reichte das Originalschriftstück so schnell wie möglich nach und betitelte alles korrekt. Sie erinnerten mich auch daran, dass ich alles, was ich in Gallaghers Schließfach gefunden hatte, dem Beweissicherungsbeamten übergeben müsste, falls es im Folly keine sichere
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