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Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)

Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)

Titel: Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Aaronovitch
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würden.
    »War es Selbstmord?«
    Interessant. »Gibt es einen Grund, warum Sie das für möglich halten?«
    »Nun … Er hatte angefangen, sich künstlerisch weiterzuentwickeln. In Richtung komplexerer Konzepte.« Huber trat zu einer großen flachen Ledermappe, die in der Ecke lehnte, ließ sie aufschnappen, blätterte in den Bildern darin und zog schließlich eines heraus. Schon ehe es ganz zu sehen war, erkannte ich, dass es sich von den anderen unterschied. Es hatte dunkle, bedrohliche Farben. Huber drehte sich um und hielt es vor sich, damit ich es genau betrachten konnte.
    Mit blauen und violetten Bögen war die Rundung eines Tunnels angedeutet, und wie aus tiefen Schatten trat daraus eine in kühnen Strichen gezeichnete, längliche, grauschwarze menschliche Gestalt hervor. Im Gegensatz zu den Menschen in Gallaghers früheren Werken hatte dieser ein extrem ausdrucksvolles Gesicht – ein großer Mund, zu einem klaffenden Grinsen verzogen, und riesige Augen in einem glatten, haarlosen hohen Schädel.
    »Wie Sie sehen«, sagte Huber, »hat sein Werk große Fortschritte gemacht.«
    Ich warf einen Blick auf ein Gemälde von einer sonnenbeschienenenFensterbank – alles, was noch fehlte, war eine Katze.
    »Wann kam dieser Stilwechsel?«
    »Oh, es ist kein Stilwechsel. Die Technik ist der in seinen früheren Werken bemerkenswert ähnlich. Das hier ist etwas Tiefergehendes. Eine radikale Wendung auf der Ebene des Motivs, könnte man sagen, aber ich glaube, es ist mehr. Schauen Sie es sich nur genau an – das Bild vermittelt Emotionen, ja Leidenschaft, die den früheren Werken völlig fehlt. Und nicht nur in dieser Hinsicht hatte er seine Komfortzone verlassen …«
    Huber verstummte.
    »Das gibt es nicht selten bei diesen jungen Leuten«, sagte er dann. »Man denkt, sie kämen langsam aus sich heraus, und dann setzen sie ihrem Leben ein Ende, und man muss erkennen, dass das, was man für eine Weiterentwicklung gehalten hat, genau das Gegenteil war.«
    Ich bin ja nicht völlig herzlos, also erklärte ich ihm, dass wir Selbstmord für unwahrscheinlich hielten. Er war so erleichtert, dass er mich nicht mal fragte, was denn passiert sei – was an sich auch schon ein dickes Kreuz auf dem Bingozettel für verdächtiges Verhalten darstellt.
    »Sie sagten, er habe seine Komfortzone verlassen. Was meinten Sie damit?«
    »Er hat Interesse an neuen Materialien gezeigt. Er wollte in Richtung Keramik gehen – leider, muss ich sagen.«
    Ich fragte, warum. Huber erklärte, sie hätten den Betrieb ihres Brennofens einstellen müssen. »Es ist sehr teuer, ihn anzuheizen. Um das zu rechtfertigen, müsste schon jedes Mal eine große Zahl von Objekten zusammenkommen.« Es war ihm sichtlich peinlich, zuzugeben, dass sich wirtschaftlicheErwägungen in den Collegebetrieb eingeschlichen hatten.
    Ich dachte an die Mordwaffe, die Tonscherbe, und fragte, ob es am Hauptcampus einen Brennofen gab und ob James Gallagher diesen hätte benutzen können?
    »Wenn er mich gebeten hätte, hätte ich dafür gesorgt, aber das hat er nicht.« Huber nahm eines der späteren Gemälde zur Hand. Das Gesicht einer Frau, blass mit großen Augen, umgeben von violetten und schwarzen Schatten. Er musterte es gründlich, seufzte und legte es dann wieder sorgfältig zu den anderen.
    »Allerdings«, sagte er, »hat er definitiv noch woanders gearbeitet …« Wieder verstummte er. Ich wartete einen Moment, ob noch mehr kommen würde, aber es kam nichts. Also fragte ich, ob Gallagher ein Schließfach besessen habe.
    »Die sind hinten«, sagte Huber. »Hier entlang.«
    Es war eines in einer Reihe grauer Metallspinde, mit einem billigen Vorhängeschloss versehen, das ich mit Hilfe eines Meißels von einem der Arbeitsplätze in der Nähe knackte. Huber verzog das Gesicht, als das Schloss zu Boden fiel, aber ich glaube, es ging ihm mehr um den Meißel als um das Schließfach. Ich zog meine Latexhandschuhe an und verschaffte mir einen Überblick. Da waren zwei Federmäppchen, eine Pinselmappe, in der die Hälfte der Pinsel fehlten, ein Taschenbuch mit einem Preisschild von Oxfam und dem Titel Das Auge in der Pyramide sowie ein Stadtplan, in dem ein Flyer für eine Ausstellung in der Tate Gallery of Modern Art steckte. Der Künstler hieß Ryan Carroll. Der Flyer diente auch als Lesezeichen, und auf der Seite, die er markierte, war um die Tate Modern in Southwark ein Bleistiftkreis gezogen.
    Da hatte er definitiv hingehen wollen – die Vernissage war für morgen

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