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Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)

Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)

Titel: Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Aaronovitch
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Komfort über Stil zu setzen) eine weinrot und lila gestreifte Bommelmütze heraus, die eine meiner Tanten mir gestrickt hatte. Mit beidem angetan stieg ich wieder ein und fuhr westwärts – sehr langsam.
    James Gallagher hatte nicht am brandneuen, topmodernen Hauptcampus im Stadtteil King’s Cross studiert, sondern an der Byam Shaw School of Art, einem kleineren Ableger der Kunstakademie zwischen Holloway Road und Archway. Was nur gut war, wie Eric Huber, der Leiter der Einrichtung und Gallaghers Tutor, mir erklärte.
    »Der neue Campus ist viel zu nüchtern. Ganz gezielt auf den Bedarf hin gebaut, mit allen Schikanen und massenhaft Büros für die Verwaltung. Das ist, als müsste man in einem McDonald’s kreativ sein.«
    Huber war klein, mittleren Alters und trug ein teures lavendelfarbenesHemd und hellbraune Hosen. Es war wohl seine derzeitige Lebensgefährtin – vermutlich bereits das zweite, jüngere Modell, wenn ich das richtig einschätzte –, die ihm die Kleidung aussuchte. Man erriet es an seinen verwuschelten Haaren und seiner Winterkluft, einer Motorradjacke aus rissigem Leder, die offensichtlich einer früheren Zeit entsprungen und wegen des Schnees wieder in Betrieb genommen worden war.
    »Es ist viel besser, an einem Ort zu arbeiten, der sich organisch entwickelt hat«, sagte er. »So trägt man selbst zu dieser Entwicklung bei.«
    Er hatte mich am Empfang abgeholt und führte mich nun hinein. Das College bestand aus zwei Backsteingebäuden, ehemaligen Fabriken vom Ende des 19. Jahrhunderts. Sie hatten dicke Wände und ein Glasdach, Huber erzählte, dass hier im Ersten Weltkrieg Munition hergestellt worden war. Der Studiobereich der Studenten war früher eine einzige große Fabrikhalle gewesen, die man durch weiß gestrichene Raumteiler unterteilt hatte.
    »Sie werden feststellen, dass es hier keine Privatsphäre gibt«, sagte Huber, während er mich durch das Labyrinth der Raumteiler führte. »Wir möchten, dass alle die Arbeiten der anderen sehen können. Es ist unsinnig, sich an einer Kunstakademie einzuschreiben und sich dann irgendwo einzuschließen.«
    Auf seltsame Weise war es, als beträte man wieder den Zeichensaal in der Schule. Genau solche Farbkleckse, Papierrollen, Marmeladegläser halbvoll mit schmutzigem Wasser und Pinseln, halbfertige Skizzen an der Wand und der leicht ranzige Geruch nach Leinöl. Nur in viel größerem Maßstab. An einem der Raumteiler hingen Hundertesorgfältig gefalteter Origami-Tintenfische aus buntem Papier. Etwas, was ich zuerst für einen Schrank voll alter Fernseher und Videorecorder hielt, entpuppte sich als eine in Arbeit befindliche Installation.
    Die meisten Stücke, an denen wir vorüberkamen und die ich identifizieren konnte, waren abstrakte Kunst, Objektskulpturen oder Installationen aus objets trouvés . Als wir zu James Gallaghers Abteil kamen, war es daher eine Überraschung, dass es voller Gemälde war. Hübscher Gemälde. Diejenigen in seinem Zimmer in Notting Hill hatten also wirklich von ihm selbst gestammt.
    »Mal was anderes«, sagte ich.
    »Entgegen dem öffentlichen Vorurteil«, sagte Huber, »haben wir nichts gegen das Gegenständliche.«
    Die Gemälde zeigten Londoner Stadtansichten wie Camden Lock, St. Paul’s, The Mall, alle an sonnigen Tagen mit fröhlichen Menschen in bunter Kleidung. Ich habe nicht viel Ahnung von gegenständlicher Kunst, aber sie sahen verdächtig nach dem Zeug aus, das in Trödelläden neben Postern von Clowns oder Hunden mit Hut verkauft wurde.
    Ich fragte, ob das nicht ein bisschen in Richtung Touristenkitsch ginge.
    »Ich will ganz ehrlich sein. Bei seiner Bewerbung fanden wir sein Werk etwas, äh … naiv, aber wenn man die Motivfrage außer Acht lässt, sieht man, was für eine schöne Technik er hat.«
    Und es war sicher nicht von Nachteil, dass er ein ausländischer Student war, der es sich den vollen Beitrag und mehr kosten ließ, hier studieren zu dürfen.
    »Äh … was ist eigentlich mit James passiert?«, fragte Huber, jetzt in zögerndem, vorsichtigem Ton.
    »Alles, was ich Ihnen sagen kann, ist, dass er heute Morgen tot aufgefunden wurde. Die Umstände sind noch ungeklärt.« Das war die Standardformel für so was, allerdings rechnete ich fest damit, dass die Schlagzeile »Leiche in Baker Street Station gefunden« gleich unter »Schneechaos – Pendler verzweifelt« in den Mittagsnachrichten auftauchen würde. Wenn die Medien nicht sogar irgendeine spannende Verbindung zwischen den beiden herstellen

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