Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)
Affen gemacht hatte, zog ich auch noch die Hacken zusammen. »Sehr erfreut.«
Sie nickte, lächelte amüsiert und sagte etwas auf Chinesisch zu Robert, der verblüfft aussah, aber trotzdem übersetzte. »Meine Arbeitgeberin fragt, was Sie wohl von Beruf sind.«
»Ich bin Polizist.«
Madame Teng bedachte mich mit einem skeptischen Blick und sagte noch etwas.
»Meine Arbeitgeberin ist neugierig, wer Ihr Meister ist«, sagte Robert. »Ihr wahrer Meister.«
So wie er das Wort betonte, war ich mir sicher, dass er nicht den Polizeipräsidenten meinte.
»Ich habe viele Meister«, sagte ich, was Madame Teng, als es ihr übersetzt worden war, ein verärgertes Schnauben entlockte. Und da spürte ich es, dieses leichte Etwas ganz am Rande meiner Aufmerksamkeit, so ähnlich wie wenn Nightingale mir eine Forma demonstrierte, aber doch anders. Und es roch ganz kurz nach verbranntem Papier. Unwillkürlich trat ich einen Schritt zurück. Madame Teng lächelte zufrieden.
Na toll, dachte ich, genau das, was man am Ende eines langen Tages braucht. Aber Nightingale würde wissen wollen, wer diese Leute waren, und als Polizist hat man bei jedem Gespräch sowieso den Ehrgeiz, am Ende mehr über den anderen zu wissen als der über einen selbst.
Als Polizisten sind wir es außerdem gewöhnt, als grob und unhöflich zu gelten.
»Sie beide sind aus China?«, fragte ich.
Bei dem Wort China versteifte sich Madame Teng und ließ eine halbminütige Tirade in schnellem Chinesisch los. Robert lauschte mit leicht amüsierter Märtyrermiene.
»Wir kommen aus Taiwan«, sagte er, als sie fertig war. Sie sah ihn scharf an, und er seufzte. »Meine Arbeitgeberin«, sagte er, »hat zu diesem Thema viel zu sagen. Das meiste davon ist esoterischer Natur und nichts davon ist für Sie oder mich von Bedeutung. Wenn Sie so freundlich wären, gelegentlich zu nicken, als erklärte ich Ihnen ausführlich die gesamte Auseinandersetzung um die Souveränität, wäre ich Ihnen sehr dankbar.«
Ich tat wie gebeten und musste ziemlich an mich halten, mir nicht gedankenvoll übers Kinn zu streichen und bedeutungsschwer zu murmeln: »Verstehe.«
»Was führt Sie nach London?«, fragte ich.
»Wir machen eine Rundreise. New York, Paris, Amsterdam. Meine Arbeitgeberin weiß gern, was in der Welt vorgeht – man könnte sagen, es ist ihre raison d’être .«
»Dann sind Sie was? Journalisten? Spione?«
Zumindest eine der genannten Professionen verstand Madame Teng und sagte scharf etwas zu Robert. Er zuckte entschuldigend die Schultern. »Madame Teng fragt nochmals – wer ist Ihr Meister?«
»Die Nachtigall ist sein Meister«, sagte eine Stimme hinter mir.
Ich drehte mich um. Hinter mir stand eine untersetzte schwarze Frau in einem roten Kleid. Es war trägerlos, so dass man die breiten muskulösen Schultern bewundernkonnte, und so kurz, dass die kräftigen Beine zur Geltung kamen, mit denen sie vermutlich selbst in ihren High Heels olympische Hundert-Meter-Zeiten rennen konnte. Ihre Haare waren sehr kurz abrasiert, und sie hatte einen breiten Mund, eine flache Nase und die Augen ihrer Mutter. Ich spürte einen Hauch von klappernden Maschinen, heißem Öl und nassem Hund. Die Kälte schien sie überhaupt nicht zu stören.
Madame Teng verbeugte sich ehrerbietig, was nur angemessen war, schließlich stand vor ihr eine Göttin – und zwar keine Geringere als die des Flusses Fleet. Su verbeugte sich noch tiefer als seine Arbeitgeberin, weil ihm das die Höflichkeit gebot, aber es war klar, dass er keine Ahnung hatte, warum.
»Hallo, Fleet«, sagte ich. »Na, wie geht’s denn so?«
Fleet ignorierte mich und nickte Madame Teng höflich zu. »Madame Teng. Wie schön, Sie mal wieder in London zu sehen. Bleiben Sie lange?«
»Madame Teng sagt vielen Dank«, übersetzte Robert. »Und sie sagt, London im Dezember ist zwar wirklich entzückend, aber sie wird morgen früh nach New York weiterreisen. Falls Heathrow geöffnet ist, natürlich.«
»Sollten Sie Schwierigkeiten bei der Abreise haben, werden meine Schwestern und ich Ihnen gern jegliche Hilfe zukommen lassen«, sagte Fleet.
Wieder sagte Madame Teng in scharfem Ton etwas zu Robert Su, und er reichte mir seine Visitenkarte. Ich gab ihm dafür meine. Staunend bemerkte er das Wappen der Metropolitan Police.
»Wirklich«, sagte er. »Polizei?«
»Wirklich«, sagte ich.
Es folgte eine weitere Runde sorgfältig bemessenen Nickens und Verneigens, dann zogen sich die beiden zurück. Ich betrachtete Roberts
Weitere Kostenlose Bücher