Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)
schon immer ein Liebling von ihm gewesen. Aber wenigstens bestellte er mir dieses erste und einzige Pint, so fing der Abend immerhin ganz ordentlich an.
Eine DC mit dunklem Haar und sehr heller Haut – an ihren Namen erinnere ich mich nicht – kam mit DC Carey im Schlepptau zu mir herüber. Sie wollte wissen, ob es stimmte, dass ich für das Folly arbeitete, und als ich bejahte, wollte sie wissen, ob es nun Magie gab oder nicht.
Ich antwortete, dass zwar durchaus einige extrem seltsame Dinge passierten, dass jedoch Magie, also Zaubersprüche und so was, reine Phantastereien seien. Zu dieser Antwort auf solche Fragen war ich übergegangen, seit Abigail, ihres Zeichens angehende Meistergeisterjägerin, mich auf mein leichtsinniges Ja hin total drangekriegt hatte.
»Schade«, sagte die Dunkelhaarige. »Ich fand immer, die Realität wird überschätzt.« Kurz darauf entfernte sie sich, und Carey dümpelte hinter ihr her wie ein arg vernachlässigter Luftballon. Wenn sie ihn aus Versehen wegfliegen lässt, wird sie sich ärgern, dachte ich.
Dann spähte ich zu Lesley hinüber, die gerade über etwas lachte, was Seawoll gesagt hatte. Sie hielt ein hohes, mit mehrfarbigem Alkohol gefülltes Glas in der Hand, das mit zwei Zitronenschnitzen, einem Papierschirmchen und einem gebogenen Strohhalm verziert war. Da sie sich offensichtlich gut amüsierte, beschloss ich die Gelegenheit zu nutzen, um mich auf den neuesten Stand über den Fall zu bringen. Es gibt drei Möglichkeiten, an die aktuellsten Ermittlungsergebnisse zu kommen. Die erste ist, man loggt sich in HOLMES ein, arbeitet die Maßnahmenliste durch, liest Zeugenaussagen, wertet die forensischen Berichte aus und verfolgt die verschiedenen Ermittlungsansätze, um zu sehen, wohin jeder einzelne führt. Der Hauptvorteil hieran ist, man kann nebenher zum Beispiel eine Pizza essen und ein Bier trinken, wenn man ein Terminal zu Hause hat. Die zweite Methode besteht darin, sein Team irgendwo um einen Tisch zu versammeln und sich von jedem erzählen zu lassen, welche Fortschritte er zuletzt gemacht hat. Typischerweise ist hier ein Whiteboard oder, wenn man richtig Pech hat, eine Power-Point-Präsentation involviert. Der prinzipielle Vorteil dieser Methode ist – falls man zufällig der leitende Beamte ist –, dass man seinen Untergebenen ins Gesicht sehen und so herausfinden kann, ob sie Blödsinn erzählen oder nicht. Der Nachteil ist, dass nach einer halben Stunde jeder außer dem leitenden Beamten langsam ins Wachkoma abdriftet.
Die dritte Möglichkeit, sich über die Ermittlungen zu informieren, ist bei den Kollegen im Pub. Und der Riesenvorteil dieser cleveren Masche (neben der Verfügbarkeit alkoholischer Getränke und gesalzener Erdnüsse) ist, dass niemand Lust hat, über den Fall zu reden. Um dich alsomöglichst schnell loszuwerden, geben sie dir die absolute Kurzversion ihrer aktuellen Schritte. Aus: »Wir haben gemeinsam mit der BTP und der City of London Police eine Auswertung der Videoaufzeichnungen unter Berücksichtigung aller möglichen Zugangspunkte vorgenommen, aber trotz der Erweiterung der Beurteilungsparameter, indem in den Zonen hoher Wahrscheinlichkeit sowohl registrierte als auch nicht registrierte Kameras mit einbezogen wurden, gab es bisher noch keine sichere Identifizierung James Gallaghers vor seinem Erscheinen in der Station Baker Street« würde zum Beispiel: »Wir haben jede verdammte Kamera in der Gegend überprüft, aber es ist, als hätte sich der Kerl aus der Enterprise runtergebeamt.«
Kurz, akkurat – und wenig hilfreich. Seine Kommilitonen hielten Gallagher für langweilig, seine Dozenten fanden ihn begabt, aber langweilig, und die Leute außerhalb der Uni, mit denen er in Kontakt gekommen war, beschrieben ihn als freundlich und höflich, aber langweilig. Das einzig Interessante an James Gallagher waren die immer wiederkehrenden Lücken in seinem bekannten Tagesablauf, die seit Ende September aufgetreten waren – Zeiten, in denen nicht zu rekonstruieren war, was er getan hatte.
»Er könnte natürlich einfach um die Häuser gezogen sein«, meinte der DC, der mir das erzählte. »Du kriegst von keinem Menschen einen lückenlos rekonstruierbaren Tagesablauf, und ich nehm ein Pint, wenn du schon dabei bist.«
Ich war den ganzen Abend fleißig am Pint-Bestellen, aber ohne Ergebnis außer der Erkenntnis, dass die Menge an O-Saft, die ich an einem Abend trinken konnte, ihre Grenzen hatte. Ich fragte mich gerade, ob ich es
Weitere Kostenlose Bücher