Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)
anderen zu unterscheiden. Aber man kann es seinen Gegnern auch leicht machen, indem man in flammenden Lettern seinen Namen hinterlässt. Der Humor des Gesichtslosen war unverwechselbar. Übersetzt lautete der Satz:
WENN DU DIES LESEN KANNST, BIST DU NICHT NUR EIN NERD, SONDERN VERMUTLICH AUCH TOT.
Donnerstag
14
Westbourne Park
In den guten alten Zeiten, als Männer noch richtige Männer waren und die Flying Squad bewaffneten Gangstern so zu Leibe rückte, wie es sich gehörte, nämlich mit dem Spitzhackenstiel, brauchte man mindestens drei Autos, um jemanden zu verfolgen. So konnte man das Fahrzeug des Verdächtigen lose »einkesseln«, was es diesem nicht nur erschwerte, dich abzuschütteln, sondern auch das Risiko minimierte, dass einer der Wagen als Verfolger ausgemacht wurde. Heutzutage schleicht man sich, autorisiert durch einen Beamten von mindestens Inspector-Rang, einfach an das fragliche Fahrzeug heran (wenn es steht natürlich) und klebt einen Sender dran. Die sind halb so groß wie eine Streichholzschachtel und kosten auch nicht mehr als eine Woche Party auf Ibiza.
An einem Wintertag um fünf Uhr morgens ist New Covent Garden eine Betonarena voller Scheinwerfer, Abgase und Gebrüll. Um die Laderampen herum knurren und fauchen Lastwagen, Lieferwagen und Gabelstapler, und Leute in Sicherheitswesten und Wollmützen eilen mit Klemmbrettern durch die Gegend und tippen mit steifen Fingern in dicken Handschuhen auf Handys herum. Es war kein Problem, den Asbo im Schutz eines mehrgeschossigenParkhauses zurückzulassen und an den gemauerten Backsteinbögen entlang durch den knirschenden Schnee zu den drei auf Nolan and Sons angemeldeten Ford Transits zu stapfen, die auf die heutige Ladung warteten. Kevins Van war leicht zu identifizieren – er war der älteste und dreckigste. Er stand auch ganz hinten, am weitesten von der Tür des Lagerraums entfernt. Ich zog den Kopf ein und die Mütze über die Ohren und schlenderte auf den letzten zwanzig Metern so unverdächtig ich konnte. Als ich ganz nahe dran war, hörte ich hinter dem Van Stimmen.
»Und wenn sie mich suchen kommen?«, fragte jemand in weinerlichem Ton – Kevin Nolan.
»Die kennen deinen Namen, Kev. Wenn sie dich finden wollen, wird sie keiner dran hindern«, antwortete eine tiefere, ruhigere Stimme. »Also kannst du dich genauso gut nützlich machen.« Kevins massiger Kumpel, oder vermutlich eher Bruder.
Ich betastete den Sender, um mich zu vergewissern, dass ich ihn richtig herum hielt, dann bückte ich mich blitzschnell und drückte ihn an die Unterseite des Vans. Um sicherzugehen, dass er gut saß, rüttelte ich leicht daran – und dabei streiften meine Finger etwas, was da nicht hingehörte. Es hatte ungefähr die gleiche Größe und Form wie mein Sender.
»Warum holen wir das Zeug für die heutige Lieferung nicht von Coates and Son?«, sagte Kevin auf der anderen Seite des Vans. »Franny meint, sie würden’s verkloppen.«
Ich zog das Objekt unter dem Auto hervor. Es war auch ein Sender. Sogar vom selben Typ wie meiner, soweit ich das im Dunkeln erkennen konnte. Ich schloss die Faust darum und entfernte mich. Schnell.
»Klar verkloppen sie’s«, hörte ich hinter mir noch die Stimme von Kevins vermutlichem Bruder. »Denen sitzt ja das Gesundheitsamt im Nacken.«
Hatte außer mir noch jemand die Nolans im Visier? Am Vortag hatte das stationäre Team eine grundsätzliche Überprüfung der Daten von Kevin Nolan und seiner Familie vorgenommen; jede Polizeioperation wäre im System angezeigt worden. Konnte es der Geheimdienst sein? Waren die Nolans Mitglied einer bewaffneten irisch-republikanischen Gruppierung oder leisteten einer solchen logistische Hilfe – oder waren Informanten einer solchen? Hatte Agent Reynolds recht, und der Mord hatte tatsächlich etwas mit Nordirland zu tun?
Ich schlüpfte hinter einen Lastwagen, der auf seine Beladung wartete.
Nein, dachte ich, es wäre trotzdem im System vermerkt worden. Nicht zuletzt deshalb, weil DCI Seawoll eine der gefürchtetsten und respektgebietendsten Figuren der Met war und man schon außerordentlich dumm sein musste, um in seinem Revier zu wildern.
Ich schaltete meine Taschenlampe an und untersuchte den Sender. Er war in jeder Hinsicht mit meinem identisch; wahrscheinlich war er beim selben Internetanbieter gekauft worden. Seine Herkunft zurückzuverfolgen wäre ungefähr so aussichtsreich wie bei einem Kugelschreiber. Mit einem Schlüssel kratzte ich ein kleines X auf das Gehäuse
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