Ein wunderbarer Liebhaber
den Kopf durch eine Tür streckte und die lange Halle entlang sah. „Rena!“ Mit ausgestreckten Armen kam sie auf ihre Tochter zu. Serena lief zu ihr und schmiegte sich an sie.
Anna war sanft und stark. Hundert Erinnerungen durchströmten Serena. Sie holte tief Luft, inhalierte den Apfelblütenduft, den ihre Mutter trug, seit sie sich erinnern konnte.
„Willkommen zu Hause, Darling. Wir haben dich erst morgen erwartet.“
„Ich habe eine frühere Maschine genommen.“ Serena legte den Kopf auf die Seite, um ihrer Mutter ins Gesicht zu sehen. Die Haut war noch zart und glatt, nur einige kleine Falten verrieten ihr Alter. Annas Gesicht besaß eine jugendliche Sanftheit, die es wohl nie verlieren würde. Die Augen blickten ruhig, spiegelten einen Charakter wider, der sich auch in all den Jahren in Operationssälen und im Angesicht des Todes nicht verändert hatte. Das Haar lag in weichen Wellen, ein tiefes Braun, durchsetzt mit hellem Grau. „Mom.“ Serena presste ihre Wange noch einmal an die ihrer Mutter. „Wie bleibst du nur so schön?“
„Dein Vater besteht darauf.“
Lachend ergriff Serena eine der kräftigen geschickten Hände ihrer Mutter. „Es ist gut, wieder zu Hause zu sein.“
„Du siehst wundervoll aus, Rena.“ Anna musterte sie mit einer unbeschwerten Mischung aus mütterlichem Stolz und Professionalität. „Nichts ist besser für den Teint als feuchte Seeluft. Lily, bitte sagen Sie der Köchin, dass Miss Rena hier ist. Das Willkommensessen findet einen Tag früher statt. Du musst mir alles über deine Reisen erzählen“, fuhr sie fort und wandte sich wieder ihrer Tochter zu. „Aber wenn du nicht zuerst zu deinem Vater gehst, wird er mir ewig in den Ohren liegen.“
Abrupt fiel Serena ihr Ärger wieder ein. Anna sah, wie sie die Augen leicht zusammenkniff. Sie kannte das Zeichen und zog die Augenbrauen hoch.
„Oh, das habe ich vor. Darauf kannst du dich verlassen“, beteuerte Serena.
„Etwas, wovon du mir erzählen möchtest?“
„Hinterher.“ Serena atmete tief durch. „Wenn ich mit ihm fertig bin, wird er deine medizinische Betreuung brauchen.“
„Ich verstehe.“ Anna war klug genug, nicht nachzufragen, und lächelte nur. „Du findest mich im Salon. Wir werden uns in Ruhe unterhalten, wenn du damit fertig bist, deinen Vater anzuschreien.“
„Ich bin bald wieder da“, murmelte Serena und ging die breite geschwungene Treppe hinauf.
Von der ersten Galerie aus warf sie einen Blick in den Korridor, der links abging. In diesen Räumen schlief die Familie. Serenas Kinderzimmer lag hinter der dritten Tür. Der Seitenflügel war ein Irrgarten aus Ecken und Kurven und schattigen Nischen. Sie konnte sich noch erinnern, wie ihr Bruder Caine sich hinter einer einen Meter hohen Bodenvase versteckt und sie beim Hervorspringen fast zu Tode erschreckt hatte.
Serena jagte ihn fast dreißig Minuten durchs Haus, bis der Spaß an der Jagd den Zorn verrauchen ließ. Schließlich ließ er sich von ihr fangen, auf dem Ostrasen, wo er sie ins Gras warf und mit ihr rang, bis sie vor Lachen schwach wurde. Wie alt war ich damals? fragte Serena sich. Acht, neun? Caine musste elf oder zwölf gewesen sein. Plötzlich vermisste sie ihn so sehr, dass es fast körperlich wehtat.
Und Alan, dachte sie auf dem Weg weiter nach oben. Er hatte sie immer beschützt, auf beiläufige, unauffällige Weise. Er war sechs Jahre älter als sie, und vielleicht hatten sie deshalb nie so miteinander gekämpft, wie sie und Caine es immer wieder getan hatten. Als Junge war Alan immer absolut ehrlich gewesen, Caine dagegen war mit der Wahrheit so umgegangen, wie es ihm gerade passte. Aber gelogen hat er nie, erinnerte Serena sich lächelnd. Aber er war ehrlichen Antworten geradezu meisterhaft ausgewichen. Und doch hatte Alan die Umstände stets zu seinem Vorteil genutzt.
Sie kam zu dem Ergebnis, dass das eine Fähigkeit war, die alle MacGregors auszeichnete. Sie sah die schmale Treppe hinauf, die zum Turmzimmer führte, und schwor sich, dass, es einen MacGregor gab, der das noch bedauern würde.
Daniel lehnte sich in seinem Sessel zurück und lauschte der präzisen, aber langweiligen Stimme, die aus dem Telefonhörer kam. Bankiers, dachte er verärgert. Es war ein Fluch, mit ihnen verhandeln zu müssen.
„Gewähren Sie ihnen eine dreißigtägige Verlängerung des Kredits“, befahl er schließlich. „Ja, ich kenne die Zahlen. Die haben Sie mir gerade genannt.“ Trottel, fügte er insgeheim hinzu. Ungeduldig
Weitere Kostenlose Bücher