Ein wunderbarer Liebhaber
war, ihn in die Luft zu heben und durch die Schaufensterscheibe des nächsten Ladens zu schleudern, war sie ihrem Zorn hilflos ausgeliefert. „Ich fürchte, mir fehlt dein Sinn für Humor“, brachte sie nach einem Moment heraus. „Zufällig finde ich das, was mein Vater getan hat, beleidigend und erniedrigend.“
Mit dem bisschen Würde, das ihr noch geblieben war, griff sie nach ihren Tüten. „Ich wäre dir dankbar, wenn du dich für den Rest der Fahrt von mir fern halten würdest. Ichglaube, es dürfte mir äußerst schwer fallen, dich nicht über Bord zu werfen.“
„Okay“, meinte Justin. „Falls du versprichst, mir in zwei Wochen wegen der Stelle in Atlantic City Bescheid zu sagen.“ Als sie den Mund öffnete, um ihn zu beschimpfen, hob er eine Hand. „O nein. Wenn du mir jetzt deine Antwort gibst, ist die Sache endgültig gestorben. Zwei Wochen.“
Sie nickte. „Die Antwort bleibt gleich, aber ich kann sie auch vertagen. Auf Wiedersehen, Justin.“
„Serena.“ Sie drehte sich noch einmal um. „Grüße Daniel von mir, bevor du ihn umbringst.“
6. KAPITEL
Das Erste, das Serena auf der Fahrt vom Flughafen auffiel, waren die Bäume. Es war einige Zeit her, seit sie Eichen und Ahornbäume und Pinien mit einem Hauch von Herbst gesehen hatte. Es war gerade erst September, aber der Herbst lag schon in der Luft, mit all seiner Kraft und Farbe. Aber obwohl sie den Anblick genoss, kochte sie innerlich.
Hätte man ihr nicht eingeschärft, einen Job stets ordnungsgemäß zu Ende zu bringen, hätte sie nach Justins Geständnis den ersten Flug von St. Thomas genommen. Stattdessen war sie ihren Pflichten an Bord nachgekommen, dabei aber noch wütender und enttäuschter geworden. Sie fühlte sich missbraucht. Justin hatte seinen Teil ihres Abkommens eingehalten und war ihr für den Rest der Kreuzfahrt aus dem Weg gegangen. Vielleicht war das die Ursache dafür, dass Serenas Zorn sich voll auf einen Mann richtete: Daniel MacGregor.
„Das wird dir noch Leid tun“, murmelte sie, und der Taxifahrer warf einen hastigen Blick in den Rückspiegel.
Hübsche Lady, dachte er. Reizbar wie eine Hornisse. Er schwieg diskret und bog auf die Straße ein, die am Nantucket Sound entlangführte.
Der erste Anblick des Hauses an der Bucht lenkte Serena von ihren Racheplänen ab. Der graue Stein war mit Glimmer durchsetzt und schien in der Nachmittagssonne zu glänzen. Daniel hatte es nach seinem Geschmack bauen lassen, und mit den beiden Türmen ähnelte es einer Burg. Es gab große Balkone mit Steinbrüstungen und hohe vonLängspfosten gesäumte Fenster. Ein breites Blumenbeet lag halbkreisförmig vor der Vorderfront, an Stelle des Burggrabens, von dem er bestimmt geträumt hatte.
Vom Hauptgebäude gingen zwei flachere Seitenflügel ab. In dem einen war eine Garage für zehn Wagen, die jetzt, wo Alan und Caine fort waren, nur halb genutzt wurde. Der andere beherbergte einen geheizten Pool. Daniels architektonischer Stil mochte eher schlicht sein, aber er wusste Komfort zu schätzen.
Das Taxi hielt vor den Granitstufen und unterbrach Serenas Betrachtung des Hauses, in dem sie aufgewachsen war. Sie überließ es dem Fahrer, die beiden Koffer und den Karton Scotch auszuladen, sammelte ihre diversen anderen Einkäufe zusammen und stieg aus.
Aus alter Gewohnheit starrte sie auf die massive Eichentür, in deren Messingklopfer das Wappen der MacGregors graviert war. Unter dem gekrönten Löwenkopf stand das gälische Motto, das sich mit „Königlich ist mein Geblüt“ übersetzen ließ. Wie immer, wenn sie es las, musste sie lächeln. Ihr Vater hatte darauf bestanden, dass sie lernten, es auf Gälisch auszusprechen.
„Stellen Sie sie bitte hier ab, vielen Dank.“ Noch immer lächelnd bezahlte Serena den Taxifahrer und drehte sich wieder um, um mit dem Familienwappen gegen die Tür zu klopfen.
Die Tür öffnete sich und gab den Blick auf eine kleine Frau mit eisengrauem Haar und kantigem Gesicht frei. Ihr Mund klappte auf und betonte das spitze Kinn. „Miss Rena!“
„Lily.“ Serena umarmte die schmächtige, knochige Frau mit jugendlichem Überschwang. Lily war nicht nur Haushälterin gewesen, sondern auch Serenas Ersatzmutter, wenn Anna im Krankenhaus war.
„Hast du mich vermisst?“ fragte Serena und drückte Lily noch einmal an sich.
„Habe kaum bemerkt, dass Sie weg waren.“ Lily lächelte ihr Willkommen.
„Lily, hat es nicht gerade geklopft?“ Anna MacGregor hielt eine Stickerei in der Hand, als sie
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