Einarmig unter Blinden - Roman: Roman
als der Laden.
»I like Germany. I think it’s the best Country in Europe, because it’s like the States. I was in Britain last year, these guys just invented the Microwave!« Er lacht und klopft abwechselnd auf mir und seinen Schenkeln herum. Ich lache mit. Es ist zwar unglaublich dumm, dafür aber nett gemeint – außerdem mag ich auch keine Engländer. Er nimmt sein Bier und geht an seinen Platz zurück. Als er sich setzt, zeigt er mit seinem Siegelringfinger auf mich. Seine Kumpels gucken erst mich an, dann ihn. Schließlich lachen alle.
Ich lese noch ein Kapitel. Dann bestelle ich die Rechnung. Seit zwei Wochen habe ich mit niemandem von zu Hause gesprochen.
Als ich bezahlen will, hält mich der Barmann fest. Ich soll den Navy-Typen erklären, dass sie mit den Stripperinnen auch Sex haben können. Und da heute Weihnachten ist, zum halben Preis.
Nach der Verlautbarung, dass Prostitution in diesem Laden möglich und in Europa wirklich legal ist, verabschiede ich mich und gehe. Schneller als sonst laufe ich über die Treppe nach draußen. Ich nicke dem Türsteher nicht wie üblich zum Abschied zu. »Merry Christmas!«, ruft er hinter mir her.
Fünfzehn:
Toleranz
Wieder da. Wieder zu Hause. Es tut gut, sie so lange nicht gesehen zu haben. Und nichts, was mit ihr zu tun hat.
Gestern war ich zum ersten Mal wieder in der Uni – und sofort genervt. Der halbe Hörsaal war mit hundertjährigen, viertelverwesten Gasthörern belegt. Ich finde, die sollen sich gefälligst ein Buch kaufen und das schön im Heim lesen.
Als ich endlich einen Platz gefunden hatte, tat ich natürlich sofort meinem Unmut über die ganzen ZDF-Seher kund. Da sagte mein Sitznachbar doch tatsächlich: »Hey, bist du intolerant.«
»Messerscharf erkannt.«
Ich bin nicht tolerant und will es auch nicht sein. Ich habe einfach keine Lust dazu. Toleranz ist die kleinste Form von Gleichgültigkeit. Und mir ist nichts gleichgültig. Vorurteile dagegen sind klasse. Die erleichtern das Denken immens.
Die trägt Buffalo-Schuhe = Prolette.
Der trägt ein Pali-Tuch = miese Zecke.
Schubladendenken ist klasse! Dieser ganze Schrott von wegen »erst mal den Menschen kennenlernen« oder »die Kleidung sagt doch nichts über den Typ aus« – alles Humbug. Ich kann doch nicht mein ganzes Leben damit verschwenden, Leute näher kennenzulernen, die mir von vornherein völlig unsympathisch sind, nur damit ich mir, politisch korrekt, ein richtiges Urteil bilden kann. Es ist doch viel netter zu sagen: »Mensch Alter, du siehst scheiße aus, hast ‘nen miesen Haarschnitt, nervst und merkst gar nichts: Verpiss dich!« So geht das. Ganz einfach.
Ich mag zum Beispiel keine Hockeyspieler. In Hamburg läuft das so: Du wirst in Winterhude, Eppendorf oder Harvestehude geboren. Grundschule, dann ab auf das Wilhelm-Gymnasium oder das Johanneum. Dein Sport ist, natürlich, Hockey. Vielleicht noch Tennis, aber das finden dann deine Erzeuger nicht so cool, weil sie sich nicht jeden Samstag mit den anderen Pseudoeltern auf der Vereinsanlage zum Anfeuern (»Super hast du das gemacht, Basti!«) treffen können.
Menschliche Abgründe tun sich vor allem auf den Hockeypartys auf. Eine Ansammlung von Idioten aus Passion. Die Eltern animieren ihre Kinder zum Saufen: »Na, einen Sauren kann der Kleine schon mal trinken!« Die Ober-Loser aus den miesesten Teams, zu dumm und versoffen, um irgendetwas gebacken zu kriegen, baggern die 14-jährigen Mädels an und knallen sie meistens noch am selben Abend. Nach dem Debütieren in der Partyszene und ersten sexuellen Erfahrungen (schlechten!) geht es ganz fix weiter. Die elterlichen Snob-Mühlen warten: Konfirmandenunterricht, Tanzschule (natürlich Hamburgs erste Adresse Wendt direkt neben dem Club) sind ein gesellschaftliches Muss.
An deinem 18. Geburtstag gibt es ein gesetztes Essen und einen gebrauchten Golf 2 in Grau – »Ist ja als erstes Auto vernünftig!« Wahrer Grund: Daddy hat nicht halb so viel Kohle wie er immer sagt. Deine beste Freundin/dein bester Freund, der/die auf dich scheißen würde, wenn sie/er jemanden in der Hierarchie über dir kennenlernen würde, hält eine Rede, in der sie/er erzählt, dass du der liiiiiiiebste Mensch auf der Welt bist und dass du schon ganz vielen Männern/Frauen den Kopf verdreht hast. Bei diesem Teil machen dann alle Eltern immer »Hohoho!«, weil so eine Aussage ja schon ganz schön gewagt ist. Spätestens dann hast du Essstörungen oder Neurodermitis (Mädchen) oder ein
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