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Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Titel: Einarmig unter Blinden - Roman: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Jessen
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Alkoholproblem (Junge). Der Druck bringt dich um. Dein Leben ist scheiße. Aber du merkst es nicht. Du hast zu viel damit zu tun, dich über dein Ralph-Lauren-Hemd, die nächste Party oder dein neues Prada-Portemonnaie zu freuen. Ja. Ich bin wieder zu Hause.

Sechzehn:
T
    Ich bin leicht zu beeinflussen. Als ich als Kleinkind Karate Kid gesehen habe, mussten mich meine Eltern am nächsten Tag bei Juka Dojo anmelden. Als Boris Wimbledon gewann, fing ich mit Tennis an. Als Slash von Guns’n’Roses jede Frau auf meiner Schule haben konnte, wurde eine Gitarre gekauft. Das Schlimme ist, ich bin immer noch so. Ich möchte lieber gar nicht mehr darüber nachdenken, wie lange ich nach meiner durchlöcherten Robbie-Williams-Jeansjacke gesucht habe.
    Vor zwei Monaten habe ich zum ersten Mal Johnny Knoxville gesehen. Auf MTV. Seine Show heißt Jackass, was auf Deutsch so viel wie Vollidiot bedeutet. Johnny trifft sich jetzt immer Dienstags mit seinen Freunden Chris, Bam und Steve in meinem Fernseher. Dann sprühen sie sich gegenseitig Pfefferspray in die Augen, kämpfen mit echten Bären oder verprügeln Bams Vater. Viele meiner Freunde finden das peinlich. Ich finde es lustig.
    Knoxville ist der coolste der Jungs. Und er sieht am besten aus. Er hat kurze schwarze Haare, die an der linken Schläfe etwas licht sind – wegen einer Stunt-bedingten Narbe. Sein Körper ist durchtrainiert, nicht gepumpt. Johnny trägt immer die gleiche, abgewetzte Motorradlederjacke. Wenn Knoxville Schmerzen hat, lacht er.
    So bin ich leider nicht. Gar nicht. So möchte ich aber sein. Auf jeden Fall. Doch so kann ich nicht sein. Auf keinen Fall.
    Halt!
    Vielleicht so aussehen? Wenigstens so anziehen. Mich dann heimlich einfach so fühlen wie er, ohne ihn zu fragen. Die anderen werden es schon nicht merken.
    Wer kann mir da helfen? Das Internet.
    Paling! Sie haben Post. Wegklicken. Google eingeben. Und Jonny Knoxvillle.
    Suchen Sie vielleicht Johnny Knoxville?
    Scheiß-Besserwisser-Computer. Ja! Dann endlich die offizielle Seite. Wear anklicken.
    Auf der Wear -Seite wird nur ein T-Shirt angeboten. Johnny Knoxville ist draufgedruckt. Er trägt eine verspiegelte Ray-Ban-Fliegerbrille und hat selbst kein Shirt an. Wenn man genau hinsieht, erkennt man, dass fünf Metallhaken aus einer 50 000-Volt-Selbstverteidigungspistole in seiner Brust und seinem Bauch hängen. Er lächelt. Ab in den Warenkorb! Wohin das Ganze? In die alte Welt. Nach Europa, Deutschland, zu mir natürlich.
    Shirt: 12 $. UPS-Express: 60 $.
    Noch ein Klick und es gehört mir. Klick. Sich für 72 Dollar express-schnell wie Johnny fühlen klingt fair.
    In einem Laden kaufen ist lustiger, finde ich. Dieses befriedigende Haben-Gefühl gibt es im Internet nicht. Genauso wenig wie eine Tüte. Vielleicht kommt das Happy-Haben-Feeling noch. Wird mit den Shirts mitgeschickt, oder man bekommt es als E-Mail-Anhang zum Downloaden.
    Es ist übrigens ein Irrtum, dass man Glück nicht kaufen kann. Jemand, der das sagt, hat sich noch nie ein Gucci-Hemd gekauft. Das einzige Problem ist nur: Solches Glück ist teuer und verflüchtigt sich schnell. Oft ist es schon aufgebraucht, bevor man den Laden verlassen hat.
    So abgedroschen dieser Vergleich auch ist: Shoppen hat etwas sexartiges. Mein erstes Mal war ein rotes BestCompany-T-Shirt. Es hatte so ein knallrotes 80er-Jahre-Rot. In marineblauer Schreibschriftoptik war BestCompany auf die Brust gedruckt. Ich weiß noch genau, wie ich nach der Schule, statt nach Hause zu laufen, abenteuerlustig den 102er Bus genommen habe, dann in den 109er umgestiegen bin, um zu Sport-Kaap in der Innenstadt zu kommen. Da gab es diese T-Shirts im Ausverkauf. Das hatte mir die frisch in meine Klasse gekommene, weil sitzen gebliebene Marie erzählt. Und um zu zeigen, dass ich ihr zuhörte, musste so ein Ding her. Eine gute Investition, wie sich herausstellte: Für vierzig Mark lernte ich etwas fürs Leben – Frauen interessieren sich nicht für Männer, die ihnen zuhören.
    Jeder Mensch durchläuft eine modische Entwicklung. Interessant ist, dass sich jene Entwicklung nicht nur darauf bezieht, was man trägt, sondern auch, wie man es sich aneignet: Als Kind trägt man, was einem die Eltern kaufen. Da ist es einem dann ja auch noch egal.
    Kurz vor den ersten Schamhaaren hat man irgendwann so etwas wie einen eigenen Geschmack – aber kein Geld. Also geht man weiter mit den Eltern zusammen Klamotten kaufen. Was immer ein Desaster wird, weil Mutti nie das kauft, was man will,

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