Einarmig unter Blinden - Roman: Roman
und einen vor schönen blonden Mädchen, die schon alleine in die Stadt dürfen, mit Fragen wie »Passt die Hose auch im Schritt?«, »Brauchst du noch Unterhosen?« und »Musst du noch mal aufs Klo, bevor wir nach Hause fahren?« blamiert. Oder mit dem Satz »Bist du schon fertig?« den Umkleidekabinenvorhang aufreißt. Man ist natürlich nicht fertig. Stattdessen präsentiert man dem ganzen Laden seinen halben Arsch.
Mit dem Wechsel von wöchentlichem auf monatliches Taschengeld und mit der Feststellung, dass nicht Mädchen, sondern die Eltern »am döööfsten« sind (Pubertät), fängt man an, sich selbst einzukleiden. Wenn ich mich auf Fotos sehe (besonders mit 12 Jahren aufwärts), hätte ich das mal lieber bleiben lassen. Ich war der lebende Beweis dafür, dass man selbst mit der Kombi Jeans-Turnschuhe-T-Shirt eine Menge falsch machen kann. Wie das geht? Zum Beispiel, wenn man eine schwarze Karottenjeans der Firma Camera mit weißen Deichmann-Basketballschuhen trägt (13), oder eine zu enge Levis501 mit Levis-T-Shirt, Levis-Gürtel und auf Converse gemachten Levis-Turnschuhen (14), oder meint, es wäre ein stylisher Stilbruch (selbst-)durchlöcherte Jeans, Sneakers und enge Dolce&Gabbana-Shirts zu kombinieren (17).
Mit 18 fing meine Ralph-Lauren-Phase an. Jedes Kleidungsstück zierte ein Polo-Reiter, der meine Unsicherheit mit seinem Polo-Schläger verteidigte. Da ich wegen der dreist überteuerten Preise bald kein Geld mehr in meinen Bundfalten-Chino-Hosen hatte und sowieso meine komplette Freizeit in Ralphs Laden verbrachte und (der wichtigste Grund) die schönsten Mädchen der Stadt das ebenfalls taten, fing ich an, dort zu arbeiten.
An meinem ersten Tag musste ich Hemden zusammenlegen und einsortieren. Während ich das tat, kamen ständig Leute herein, brachten alles, was ich gerade säuberlich drapiert hatte, wieder durcheinander – und kauften nichts. So ging das den ganzen Tag. Fünf Minuten vor Ladenschluss war es dann aber endlich geschafft: Hurra! Geordnet nach Farbe, Größe und Stoff lagen alle Hemden DIN-A4-groß gefaltet in dem riesigen Eichenholzregal. Da betrat ein Junge den Laden. Er war in meinem Alter. Trug zurückgegelte blonde Haare, einen schwarzen Rollkragenpullover mit eingestickter USA-Flagge und einen Gesichtsausdruck, den nur Kinder haben, die von ihren Eltern sogar dann gelobt werden, wenn sie nur zu Kellnern »Bitte« und »Danke« sagen. Schnurstracks näherte er sich meinem Tagwerk. Riss so brutaldumm ein Hemd heraus, dass alle darüber angeordneten sich auf dem Boden wieder fanden. Grinste ein »Tschuldige«. Ging zur Umkleide. Kam sofort zurück. Strich das Cashmere über seinem wohlstandsverfetteten Bauch glatt und verschwendete kostbare Luft für folgenden Satz: »Du glaubst nicht, was mir eben passiert ist! Ich nehme mir das Hemd hier und will es anprobieren. Während ich es anziehe, fällt mir aber ein, Mensch, das habe ich doch schon zweimal zu Hause! Aber wenn man so viele Polo-Hemden hat wie ich, verliert man eben leicht den Überblick. Tschöö mit ö!« Der gleiche Typ bepöbelte zwei Wochen später seine Mutter mitten im Shop als Schlampe, weil sie ihm einen zweitausend Mark teuren Mantel nur einmal und nicht in Schwarz, Blau und Braun kaufen wollte.
Sechs Wochen, 42 Unterhosen, 84 Socken und 18 Hosen später: Das Knoxville-T-Shirt ist da!
Das zu große Knoxville-T-Shirt ist da.
Die Ärmel treffen sich mit dem Saum in meinen Kniekehlen. Johnny-Feeling kommt nicht auf. Es scheint, als ob XL im Home of the Brave and McDonald’s Junkies etwas komplett anderes bedeutet als das, was bei uns landläufig unter extra-large verstanden wird.
Aufgeben?
Auf keinen Fall!
Oha … Das T-Shirt zeigt Wirkung.
Ich weiß nicht so recht, ob der Schneider mich nicht mag. Oder nicht versteht. Oder nicht verstehen will. Zum dritten Mal setze ich an. »Bitte, stecken Sie das T-Shirt einfach nur ab und machen Sie’s kürzer und enger.«
»Was wollen Sie denn nun genau?«
»Also, das T-Shirt ist zu lang und zu breit. Können Sie das ändern? Bitte!«
»Aber das ist doch nur ein T-Shirt!«
»Ja. Und?«
»Ich weiß nicht, ob das geht.«
»Warum?«
»Da, schauen Sie mal. Das hat doch nicht mal Nähte. Genau genommen ist das nur ein bedrucktes Stück Stoff, das an den Enden zusammengeschweißt ist. Ich müsste das komplett umschneidern.«
»Schaffen Sie das?«
»Also, ich weiß nicht.«
»Für 30 Euro?«
»Ja, das wird schon gehen. Kommen Sie morgen so gegen vier.« Am
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