Einarmig unter Blinden - Roman: Roman
studiere.
Währenddessen betrinke ich mich mit jeder Menge Wodka-Rolex. Das Rezept: Man nehme ein Glas mit Eis, bette seine Rolex darauf und fülle das Glas mit Wodka auf.
In einer Spielpause, in der Olaf wieder einmal versucht, das Regelwerk der neuen Schrecklichkeit zu verstehen, halte ich einen Monolog über die Körperbehaarung des Menschen: »Wenn Frauen Achselhaare haben, finden Männer das scheußlich. Wenn Männer unter den Armen rasiert sind, finden Frauen das ekelig. Dass Frauen sich ihre Schamhaare stutzen, mindestens die Bikinizone, ist selbstverständlich. Frisiert sich ein Typ seine Schamhaare, ist er entweder Pornodarsteller oder schwul. Brusthaare bei Männern finden die meisten Frauen geil, die gelten als männlich und scharf. Über Frauen mit Brustbehaarung brauchen wir wohl nicht zu reden. Rückenhaare finden Frauen dagegen immer scheußlich – obwohl sie nur ein paar Zentimeter weiter hinten liegen. Nasen- und Ohrhaare sind bei beiden Geschlechtern gleich ekelig. Sonst noch Fragen?«
Nach der Spielesession, wie Corinna den Abend tragischerweise bezeichnet, hoppsen die fröhlichen Behindertenparkplatz-benutzungsberechtigten Bremer Stadtmusikanten in die Küche, um Kaffee zu trinken. Natürlich gibt es nicht genügend Stühle. Susanne bietet mir an, für mich stattdessen ein »großes, voll gemütliches« Kissen aus ihrem Zimmer zu holen.
Ich bestelle mir lieber ein großes, voll gemütliches Taxi. Niemand hat etwas dagegen. Susanne nicht, ich nicht, Kai nicht, was mich allerdings wundert.
Im Taxi überlege ich, welche romantische Erinnerung sie und mich verbindet. Ich meine nicht den normalen Kram: Blumen, Geschenke zum Geburtstag, Aufmerksamkeiten zum Jahrestag, Wochenendtrips oder »Hey, unser Lied!«. Ich suche nach dem einen, unverwechselbaren Moment unserer Beziehung, der etwas Besonderes war. Die Szene, die eine normale Hollywood-Liebeskomödie zu einem Blockbuster macht. Den Augenblick, den nur zwei Menschen auf der Welt verstehen. Der nur ein paar Sekunden dauert, aber ein Leben hält: Leonardo drückte Kate Winslet an die Reling der Titanic. Richard Gere holte Julia Roberts als weißer Prinz verkleidet ab. Rocky fiel nach seiner Niederlage gegen Apollo Creed auf, dass Adrian ihren Hut verloren hatte. Und wir? Was hatten wir?
Wir haben gespuckt. Gerne und überall. Das artete immer zu einem echten Wettkampf aus: Wer kann weiter? Wer kann ekeliger? Wer kann grüner? Ganz egal, wo wir zusammen waren – wir spuckten um die Wette. Aus dem Auto, beim Warten oder Anstehen. Einmal gingen wir extra im Fernsehturm essen, nur um runterspucken zu können. Klingt ekelig. Ich weiß. War aber die verdammt romantischste Sache meines Lebens.
Normalerweise ist Romantik nur im Nachhinein ekelig. Unsere war es schon währenddessen.
Es ist spät. Ich liege im Bett. Jemand tut mir leid. Nicht Kai, den ich vor seinen Freunden blamiert habe. Auch nicht Susanne, deren Spieleabend ich zerstört habe. Nein. Ich tue mir leid. Und wie!
Meine Augen fangen an zu spucken.
Ich wische die Tränen nicht weg. Alles muss einen Sinn haben.
Achtzehn:
Charity
Was bekommen meine Eltern von mir? Ich bin kein schlechter Junge. Das meine ich nicht. Aber was haben sie von mir, kriegen sie, was ohne mich nicht da wäre? Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich sie glücklich oder stolz mache. Sind sie es doch, reicht ihnen wohl meine bloße Anwesenheit. Was seltsam wäre. Nicht mal mich macht meine bloße Anwesenheit glücklich.
Ich habe immer viel Geld von meinen Eltern bekommen. Für Klassenreisen bekam ich den doppelten Betrag, den die Lehrer empfohlen hatten (und jede Menge Essen). Ich hatte immer das coolste Rad und war der Einzige in meiner Schule, der in der großen Pause nicht seine von Muttern geschmierte Stulle aß, sondern im Blockhouse gegenüber essen ging. Mein Vater meinte, das wäre die Bezahlung für meinen harten Job: die Schule.
Ich werde immer noch exzellent von meinem Papa bezahlt. Meine Arbeit beinhaltet mittlerweile zur Uni gehen und meine Mutter auf Charity-Veranstaltungen begleiten. Ich liebe meine Mama. Aber Charity ist pervers.
Wenn ich nur an diese »Charity-Ladys« aus Mitteldeutschland und ihre schon mit 14 Jahren an der Nase operierten Töchter denke – wie sie sich von dicken, ekeligen Männern 500 Euro in einen Champagnerkühler stecken lassen. Nur schlimm. Zwar gibt es die Argumente:
Die würden sonst nicht spenden.
Das bringt doch so viel.
Blabla.
Für mich ist das trotzdem schlicht
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