Einarmig unter Blinden - Roman: Roman
damit mein ganzes Leben schläfrig macht. Nur so ist der folgende Satz zu erklären, der mir im Nachhinein rätselhafter ist als meine Moonwashed-Jeans mit Neon-Aufdruck, die ich so gerne in der Grundschule getragen habe: »Ich such mir jetzt ein Hotel zum Pennen.«
Dieser Satz hat überhaupt keinen Sinn – erstens will ich noch bleiben und zweitens wohne ich nur zehn Minuten mit dem Taxi vom Glashaus entfernt. Sie meint trotzdem, einen zu verstehen. »Schlaf doch bei mir«, sagt sie – und berührt die Innenseite meiner Schenkel.
»Ja, gut.«
Ihre Wohnung ist schrecklich. Kein Buch, dafür abgelaufener, royalblauer Teppich. An der Wand hängen billige Hundertwasser -Drucke in noch billigeren Alurahmen, auch royalblau.
»Oh, du magst Hundertwasser.«
»Keine Ahnung, wer das gekleckst hat. Hab ich geschenkt bekommen.«
Hoffentlich fickt dumm wirklich gut. Wenn ich noch was zu trinken kriege, schaffe ich es vielleicht noch, meinen morgigen Kater so stark auszubauen, dass er seinen moralischen Artgenossen wegfaucht.
Auf meiner Suche nach etwas Trinkbarem stoße ich auf etwas Unglaubliches: Auf ihrer Fensterbank stehen sauber aufgereiht knapp ein Dutzend bunte Leonardo-Gläser. Und als ob das allein nicht schon schlimm genug ist, hat sie vor jedes Glas ein – von der Sonne schon ausgebleichtes und dezent verformtes – Gummibärchen in der gleichen Farbe hindrapiert. Darauf muss man erst mal kommen. Meine zwischendurch kurz aufgekommene Geilheit ist endgültig weg. Was nicht viel heißen soll, denn selbst auf dem Höhepunkt meiner körperlichen Gefühle für diese Frau (muss beim Verlassen des Glashauses gewesen sein) war meine Leidenschaft für sie so heiß wie ein vorgestern verglühtes Streichholz.
Zum Gehen ist es zu spät.
Ich versuche, schnell auf der Couch einzuschlafen, aber sie nervt so lange rum, bis ich mich zu ihr ins Bett lege.
»Soll ich dich massieren?«
»Nein, danke.«
»Wollen wir fernsehen?«
»Okay.« Ich benehme mich gerade genauso masochistisch-ohnmächtig wie irgendwer aus irgendeiner Fernsehserie. Mir ist nur noch nicht ganz klar, wer und aus welcher Serie.
Ich versuche krampfhaft, mich in den Schlaf zu flüchten. Sie zappt wild und ungeschult umher. Das Nachtprogramm ist eigentlich immer super; nach eins wird überall der Trash des Tages wiederholt, ohne lange Werbepausen. Doch anstatt einen Daily-Talk oder Beverly Hills laufen zu lassen, zappt sie munter zu einem Softporno auf Kabel 1. »Es gibt nichts anderes.«
Ich denke an meine Mutter. Was, wenn sie mich jetzt hier sehen würde? Vermutlich würde sie denken, ich sei ohne sie auf eine Charity-Veranstaltung gegangen, zugunsten unterprivilegierter Minderpromis, und habe die Aufgabe etwas zu ernst genommen. Oder sie wäre einfach nur enttäuscht.
Ich will weg, schaffe es aber nur, mich von ihr wegzudrehen.
»Nimmst du mich nicht in den Arm?«
»Das geht nicht.«
»Warum?«
»Ich kann nur links schlafen, mit Blick aus dem Bett raus und viel Platz. Kindheitstrauma, will nicht drüber reden.« Jetzt weiß ich, wer ich bin: Chandler aus Friends.
Ein ungeschminktes »Frühstück ist gleich fertig« zerstört einen Traum, in dem ich surfen kann. Geschirrklirren, welches aus der Richtung kommt, wo ich die Küche vermute, verhindert einen erneuten Wellenritt. Zum Glück. Denn wie am Febreeze-Gestank der kratzigen Bettwäsche zu erkennen ist, bin ich immer noch da, wo ich eingeschlafen bin.
In solchen Momenten wünschte ich mir, ich hätte ewig ein kleines Baby bleiben können. Egal, wo ich damals eingeschlafen bin – Wohnzimmer, bei Freunden, im Kinderwagen, beim Arzt –, meine Eltern sorgten immer dafür, dass ich im eigenen Bett aufwachte.
Frage: Wie komme ich hier weg?
Antwort: ein Geistesblitz!
Ich erinnere mich an Pascal und wie er angeblich immer ohne Diskussionen One-Night-Stand-Frauen, nervigen Gesprächen mit Eltern und Uni-Referatsgruppen entflieht. Einen Versuch ist es wert. Sonst heißt es nicht Frühstück bei Tiffanys, sondern Frühstück mit Tussi.
Ich suche mein Handy.
Wähle das Menü: Profile. Allgemein. Anpassen. Ruftontyp.
Suche einen Klingelton aus, der sich laut und nervig anhört (»Chase«).
Lasse achtmal klingeln.
Aktzeptiere mit Ok den Ton.
Schreie Ozzy-Ozbourne-mäßig in mein Mobile (was mir im Nachhinein reichlich blöd vorkommt, da sie ja gar nicht im Raum war): »Was ist? Ich komme sofort!«
Renne zur Tür und rufe auf der Schwelle: »Entschuldige! Notfall! Ich muss los.«
Meine Nummer
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