Einarmig unter Blinden - Roman: Roman
eine Absage an die Menschlichkeit. Tut mir leid, ich finde es einfach nur pervers. Wie die Leute auf sündhaft teuren Festen feiern, 100 Euro aufwärts spenden und sich dann wie die Mutter Theresa des Ruhrpotts fühlen. Seid doch wenigstens ehrlich. Es geht doch nur darum, in die Bunte zu kommen. Klappt es mit Modeln, Schauspielerei und Singen nicht, muss man sich halt anders in die Roter-Teppich-Society einnischen: »Dann mach ich halt in Charity.« Die Hochglanzbildchen werden alle sorgfältig in einem extra angefertigten Louis-Vuitton-Ordner abgeheftet. Aufschrift: Ich, in Versace, rette die Welt.
Ich habe vor jeder Person, die aus eigener Kraft hilft und dabei auf mehr verzichtet als auf eine neue Gucci-Handtasche, mehr Respekt als vor denen, die auf Spendengalas mit Hundertern bezahlen. Deren Ehemänner kriegen sie sowieso hundertfach durch Steuerbetrügerei und Schwarzgeldkonten in der Schweiz wieder rein. Jeder von diesen selbstlosen Jüngern der modernen Menschlichkeit hat natürlich auch ein Patenkind. So eins für 39.95 im Monat, aus dem Fernsehen (kann man toll mit einem Reporter von Die Aktuelle oder von Das Goldene Blatt besuchen fahren). Dessen Bilder werden dann in teuren Rahmen zu Hause in Fucking-Düsseldorf an die Wand gepinnt. Ich hätte mal Lust, auf so einer Veranstaltung mit einem »Patenkind« aufzutauchen: ungewaschen, in dreckigen Windeln und gespendetem Wollpulli. Das irritierte Balg würde ich dann auf den Tischen der Spendenwilligen herumlatschen lassen. Es wäre zu toll, wenn sich das Kind auf einen Champagnerkühler voller Geld setzen und reinkacken würde. Ohne es zu verstehen, würde das Kind den Leuten zeigen: »Wenn ich es nicht zum Überleben bräuchte, würde ich auf euer Getue und Geld scheißen.« Das wäre klasse. Am Ende sollte man es irgendeiner Charity-Lady einen Kuss direkt auf ihr mit Chanel-Make-up zugekleistertes Gesicht geben lassen. Und am nächsten Tag müsste man sie dann von einem Paparazzo beschatten lassen – wie sie sich von einem Promi-Arzt nach Kontaktkrankheiten durchchecken lässt. Schöne Bild- Geschichte .
Toll ist übrigens auch Brot statt Böller – ich glaube, die von Marketing und Strategie her dümmste aller Aktionen. Zweimal im Jahr rücken die zu 99 Prozent frustrierten Menschen wenigstens oberflächlich enger zusammen. Verabschieden sich für eine kurze Zeit von ihrem traurigen Dasein. An Weihnachten und Silvester sind die meisten »einfach mal so« fröhlich und ausgelassen. Aber auch diese einfache Freude muss natürlich wieder in ein Kapitel aus Zwang und heuchlerischer Vernunft gepresst werden: »Nicht böllern! Wegen Afrika und so!«
Meine Herren.
Mein lieber Herr Gesangsverein.
Meine Fresse.
Das Übel liegt doch echt woanders begraben.
Wobei diese Aktion wiederum so drollig ist, dass ich vor ein paar Jahren ihr Anhänger wurde – auf meine Weise: Jedes Jahr nehme ich Silvester eine Packung Toastbrot mit, schmeiße die Scheiben Punkt 24 Uhr durch die Gegend, während ich »Brot statt Böller, Brot statt Böller!« rufe. Zur Nachahmung nicht empfohlen – das Umfeld reagiert heftig.
Neunzehn:
Flight Canceled
Die selbst gerne berühmte Ex eines, für deutsche Verhältnisse, großen Schauspielers ist seit einer halben Stunde dabei, mich im Glashaus anzugraben. Vor ein paar Wochen gab es hier eine Schießerei. Angeblich, weil die Türsteher so einen Krawall-Türken vermöbelt haben. (Aber eine Theorie über nicht bezahltes Schutzgeld hält sich hartnäckig.) Und statt offener Gewalt nun also diese Ex. Der Partyveranstalter, ein Bekannter von mir, konnte sich sein Lachen nicht verkneifen, als sie anfing, mich anzusurfen.
nicht bumsen, wenn du angst vor g-krankheiten hast. p.s. ich habe sie vor jahren auf der toilette gefickt
bekam ich von ihm als Kurzmitteilung auf mein Handy, obwohl sie direkt und er nur zwei Meter neben mir stand. Ihr Styling: mies. Enge Levi’s und Fake-Versace-Shirt. Ihre Figur ist schweinegeil, aber ihre Lebenslinien verlaufen statt auf der Handinnenseite mitten durch ihr Gesicht. Sie hält ihren Kopf so, als ob sie die Haut unter ihrem Kinn sehr schön findet. Seit ihrer Trennung versucht sie ständig, in die Klatschspalten der Lokalpresse und auf Internetpartyseiten zu kommen. Ein Freund von mir, der bei der Gala arbeitet, hat mir erzählt, dass sie ihn seit zwei Monaten täglich in der Redaktion anruft und um »Hilfe« bittet: Sie will nicht immer in den Zeitungen stehen. Ob man nicht mal ein Interview zu
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