Eindeutig Liebe - Roman
einer Telefonnummer. Nach der Nummer von jemandem, der uns helfen konnte. Wirklich helfen. Jemand, der nicht nur Faltblätter austeilte, die niemandem etwas brachten.
Dann nahm ich das Telefon und rief die größte Obdachloseninitiative in London an. »Hallo. Ja, also, mein Name ist Sienna. Sienna Walker. Ich habe einen Freund, der obdachlos ist, und wir bräuchten Ihre Hilfe …«
»Hör zu, das alles ändert gar nichts, okay?«
Nick
Ich werde Chloe bitten, zu mir zu ziehen. Jawohl. Ich habe mich entschieden.
Allerdings machen mir ihre Sachen in meinem Haus immer noch Angst. Mir ist immer noch nicht wohl dabei, wenn ich im Badezimmer aufwendig gestaltete Fläschchen mit Lipgloss finde – oder was auch immer darin ist. Ich weiß aber auch, dass ich Chloe wirklich gernhabe, und deshalb habe ich beschlossen, mich meiner Angst zu stellen. Und ich fürchte mich noch immer davor, noch einmal so verlassen zu werden, wie Amelia mich verlassen hat. Das spukt mir immer im Hinterkopf herum. Logisch ist das nicht, oder? Man kann schließlich nicht alle Menschen über einen Kamm scheren.
Ich sehe es ein bisschen wie Bungeespringen oder Wildwasserrafting. Ich weiß, dass es gut für mich sein wird. Ich weiß, dass es so am besten ist. Also tue ich es, denn ich bin mir absolut sicher, dass ich Chloe liebe. Na ja, ziemlich sicher. Ich habe es nun schon ein paarmal gesagt und dabei nicht die Panik empfunden wie beim ersten Mal. Im Nachhinein begreife ich, dass diese Panik nicht echt war. Ich liebe es, sie die ganze Nacht neben mir zu haben. Ich liebe es, mit ihr zu kochen. Und ich liebe es, beim Rasieren ihren Umriss durch die Glastür der Dusche zu sehen. Ich liebe das einfach alles.
Das bedeutet, dass das hier meine letzte Angst ist, die es zu überwinden gilt. Es wird Zeit für mich, die Zehen um die Kante des Sprungbretts zu legen, auf das funkelnde Wasser hinunterzuschauen und mich fallen zu lassen. Mich tief und endgültig hineinzustürzen, bis ich die Angst und diesen ganzen Mist abgewaschen habe. Bis das alles weg ist.
Sicher ist es doch normal, dass man sich vor so einem wichtigen Schritt ein wenig beklommen fühlt, oder? Das tun wohl die meisten, nehme ich an. Vor allem dann, wenn man jemanden bittet, zu einem zu ziehen. In das eigene Haus, wo man sich normalerweise einfach gehen lassen kann, ohne dass es jemand mitbekommt. Man kann seltsame Brotbeläge testen, das Geschirr mit einem Frotteehandtuch spülen, wenn einem die Schwämme ausgegangen sind, und eine Rolle Klopapier, ein Glas Gurken und ein Päckchen extrastarke Pfefferminzbonbons in seinem Schrank deponieren – nur für den Fall, dass es einen nationalen Notstand gibt und die Supermärkte voller Idioten im Panik-Kaufrausch sind. Man kann schließlich nie wissen …
Ja, ich weiß, ich weiß. Ich hatte einen Grundsatz, was Bürobeziehungen angeht, aber mit Chloe ist es bisher immer gut gelaufen, es schien nie einen wirklich triftigen Grund zu geben, mich von ihr zu trennen … Außerdem ist Chloe sowieso praktisch die ganze Zeit bei mir, und mir bleibt jetzt eigentlich nur noch eins zu tun übrig: dieses Unbehagen durch einen mutigen Schritt zu beseitigen. Es wird wirklich Zeit, dass ich erwachsen werde. Dessen bin ich mir nur zu bewusst.
Außerdem glaube ich, dass ich mit diesem Schritt das letzte bisschen Selbstquälerei wegen Sienna überwinden werde. Ich kann nicht den Rest meines Lebens damit verbringen, zu schmachten und nichts mehr richtig hinzubekommen, bloß weil ich einer unerfüllbaren Liebe nachhänge. Jedenfalls habe ich Sienna mittlerweile so gut wie überwunden. Und Chloe bei mir einziehen zu lassen ist der letzte Schritt der Therapie. Sobald Chloe bei mir wohnt, werde ich keine Zeit mehr haben, über dem Fotobuch zu brüten und meinen Finger eine halbe Stunde lang über der Zwei auf meinem Handy schweben zu lassen.
Doch ehe ich Chloe offiziell fragen würde, wollte ich mir Siennas Rat holen. Schließlich ist sie meine beste Freundin. Also bat ich sie, mich mit mir im Alexandra Palace zu treffen, das ist einer meiner Lieblingsparks in London. Vom höchsten Punkt aus überblickt man fast die ganze Stadt. Es sieht fast aus wie ein perfektes Gemälde. Manchmal sitze ich hier und stelle mir vor, die Häuser und die Hügel wären mit Holzkohle skizziert, sodass man nur die Umrisse erkennen kann. Ich überlege mir jedes Mal, das in einer Grafik umzusetzen, aber dann habe ich sofort das Gefühl, der Idee nie gerecht werden zu können.
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