Eindeutig Liebe - Roman
Gefühl. Ein Drang. Und diese Farbe hüllte Sienna völlig ein, berührte ihre Kurven wie die Hand eines unersättlichen Liebhabers und floss an ihrem Körper herunter wie ein Wasserfall. Herr im Himmel!
Mann, war das ein Kleid! Ich fragte mich, woher sie es hatte. Chloe hat mich oft genug durch die Oxford Street geschleppt, und so viel wusste ich: So etwas gab es nicht von der Stange. Meine Augen nahmen alles wie in Zeitlupe auf – das tun sie öfter, wenn Sienna einen Raum betritt. Ich habe das immer für einen billigen Filmeffekt gehalten, aber so etwas gibt es tatsächlich.
Es war der Abend unserer Betriebsweihnachtsfeier – eine geschmacklose Veranstaltung, die in der Regel zu wenigstens einem betrunkenen Kuss zwischen Leuten führt, die ihn später bereuen, und die mit wenigstens einer schrecklichen Tanzdarbietung auf dem Tisch endet. Letztes Jahr verbrachte Nigel aus dem Vertrieb genau deswegen die Feiertage mit einem Bein in Gips. Der Tisch hatte nicht so viel Glück. Diese Weihnachtsfeier ist eine furchtbare, alljährlich stattfindende Veranstaltung, bei der sich alle, die bei The Cube arbeiten, gemeinsam betrinken und dabei so tun, als würden sie sich mögen. Man flüstert sich alles Mögliche über den Tisch hinweg zu, und am darauffolgenden Montag bekommt man dann Ärger dafür.
Dieses Mal jedoch zog Sienna alle in ihren Bann, weil sie in einem Kleid gekommen war, bei dessen Anblick wir alle mit ihr ins Bett wollten – Männer wie Frauen. Das Kleid war in diesem billigen Hotelrestaurant völlig fehl am Platz, doch das spielte keine Rolle. Ich glaube, jeder war froh, dass sie sich entschlossen hatte, es zu tragen. Ich hatte es noch nie zuvor gesehen, dabei kenne ich die meisten von Siennas »Ausgehkleidern«. Die ganze Zeit über fragte ich mich, wo es auf einmal herkam.
Sienna ist jetzt vierundzwanzig und atemberaubend schön. Sie scheint immer schöner zu werden. Anscheinend lässt sie alles, was ihr im Leben zustößt, sei es gut oder schlecht, nur noch schöner werden. Als sie mit Ben hereinkam, hätte ich mich fast an meinem Bier verschluckt. Er hielt ihre Hand fest umschlossen und wirkte außerordentlich nervös. Mit der freien Hand strich er sich unbewusst über das Jackett; außerdem sah er immer wieder auf seine Schuhe. Es waren durchaus hübsche Schuhe – ich nahm an, dass Sienna sie für ihn gekauft hatte. Auf keinen Fall kann sich ein Mann ohne die Hilfe einer Frau solche Treter aussuchen.
Er sieht gut aus, dieser Ben, und bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen wir bisher zusammentrafen, sind wir gut miteinander ausgekommen. Verglichen mit dem Loser, mit dem sie vorher zusammen war – diesem Daniel House –, ist Ben ein großer Fortschritt. Ich würde mir lieber jedes Haar am Körper einzeln ausreißen, als auch nur eine weitere Minute in Daniels Gesellschaft zu verbringen.
Ben trug ein weißes Hemd mit einem schmalen schwarzen Schlips und einen schwarzen Anzug. Nebeneinander sahen sie aus, als wären sie auf dem Weg zu einer Filmpremiere. Sie wirkten viel zu gut für diesen mit Rauschgold geschmückten Funktionssaal an einer Seitenstraße der M25 und das Hotel, in dem wir alle übernachten würden.
Der Festsaal war ungefähr so glamourös wie das Gebiss meiner Oma. Die zwölf Tische waren mit verblasstem rotem Krepppapier und halbherzig ausgewähltem Weihnachtsschmuck bedeckt, der aussah, als stamme er aus dem Ein-Pfund-Laden um die Ecke. Daneben standen Konfettiwerfer, die Konfetti in Form von diversen Festtagssymbolen verschossen, und ein zweitklassiges Tischfeuerwerk. In der Mitte jeder Tafel befanden sich zwei Flaschen mit billigem Wein – ein roter, ein weißer – und ein völlig überladenes Blumenbukett. Am anderen Ende des Raumes war ein kleines DJ-Pult aufgebaut worden. Schon bald würden wahrscheinlich die größten Hits von Wham! in den Saal gepumpt werden, begleitet von einer nicht an den Rhythmus gekoppelten Lichtorgel.
Als ich Ben und Sienna so betrachtete, wie sie da am Eingang standen, während sich eine Schar von Menschen um sie sammelte, fühlte ich mich, als wäre ich im Schlafanzug auf der Feier erschienen. Ich warf einen Blick auf meine Hose und entdeckte einen kleinen Fleck. Offenbar war mir etwas von meinem Bier auf den Schoß getropft. Na, toll!
»Was guckst du denn so, Liebling?«, fragte Chloe, als sie von der Toilette kam, und schob ihr Gesicht in mein Blickfeld.
Ich zuckte zusammen. »Ach, nichts. Schau mal, Sienna und Ben sind gerade
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