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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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Leitartikel, der Mitte der Woche erschien, zu einfach, wenn er noch einmal die überstrapazierte Rede von einem Kinderstreich bemühte und schrieb, das Internet sei voll von Bombenbauplänen, funktionierenden wie nicht funktionierenden, aber das Leben gehe trotzdem weiter, und wenn jemand unbedingt Angst haben wolle, gebe es tausend andere Gründe. Das war ein bisschen gar wenig, aber ich neigte auch nicht zur Hysterie oder ließ mich einschüchtern wie Judith, die sich nicht mehr auf die Straße traute. Drei Tage nach meinem ersten Besuch fuhr ich noch einmal hinaus an den Fluss, und es war wieder alles unverändert im Haus, auch wenn ich auf dem Rückweg auf zwei Polizisten stieß, die sich sicher nicht zufällig dort herumtrieben und meine Anwesenheit aufmerksam registrierten. Ich mied das Bruckner, wo ich am ehesten Dinge in Erfahrung hätte bringen können, weil ich nicht wieder in eine Situation kommen wollte, in der ich mich bedroht fühlte, und in der Schule wich ich jedem Gespräch über Daniel aus und verbat mir, in die Sache hineingezogen zu werden, was insbesondere für Herrn Bleichert galt, der plötzlich ein verschwörerisches Verhalten an den Tag legte und mir begegnete, als wären wir Mitglieder einer Geheimgesellschaft. Der Direktor schmollte mit mir. Wenn er mich auf dem Gang traf, sah er mich mit einem Blick an, der sagen sollte, bei dem Vertrauen, das er in mich setze, habe er etwas anderes erwartet, aber er sprach nicht mit mir, und als ich schon dachte, ich bildete mir das alles bloß ein, überzeugte Frau Pfeifer mich vom Gegenteil, indem sie mir nahelegte, ich solle doch zusehen, die Misstimmung auszuräumen. Die Schüler verhielten sich auffällig ruhig, aber es ginge zu weit, wenn ich behauptete, ich hätte genau deswegen den Verdacht gehabt, sie würden etwas gegen mich aushecken und es sei nur eine Frage der Zeit, bis ihnen einfiel, wie sie die Geschichte gegen mich verwenden könnten. Ich bekam mehrere anonyme Anrufe, bei denen ich dachte, dass sie vielleicht dahintersteckten, und als das Telefon schließlich ein weiteres Mal zu ungewohnter Stunde klingelte und ich, aus dem Schlaf gerissen, ohne zu überlegen, »Daniel, bist du es?« sagte, glaubte ich im Hintergrund ein unterdrücktes Lachen zu hören und konnte mir niemand anders vorstellen, der ein Vergnügen daran hatte, als eine Bande von Dreizehn- oder Vierzehnjährigen.
    Es war natürlich kein Zufall, dass ich mich am Wochenende darauf vor dem Tor zu Christophs Haus wiederfand. Ich hatte immer ein ungutes Gefühl, wenn ich an ihn dachte und daran, wie er damals im Sommer nach dem Auftreten des Reverends, ohne sich noch einmal blicken zu lassen, aus meinem Leben verschwunden war. Es stimmt schon, ich hatte mich für ihn von Anfang an weniger interessiert als für Daniel und ihn als seinen Freund einfach hingenommen, obwohl ich ihn bei aller Schwerblütigkeit eher als Leichtgewicht einschätzte. Dann war ich brüskiert gewesen, dass ausgerechnet er sich bei den paar weiteren Begegnungen verhielt, als wäre ich ihm zu nahe getreten. Er sagte nie etwas, aber seine Reaktion war eindeutig, eine Verschämtheit, die in Wirklichkeit einer Unverschämtheit gleichkam, als wollte er nicht mit mir zusammen gesehen werden oder sich jedenfalls von allen Gerüchten, die es über uns gab oder auch nur geben könnte, so weit wie möglich distanzieren, und daher ging ich ihm genauso aus dem Weg wie er mir.
    Er hatte Architektur studiert und arbeitete seither nicht nur im Planungsbüro von Herrn Oswald, der damals Bürgermeister gewesen war und gerade für eine zweite Periode kandidierte, sondern hatte auch dessen Tochter Manon geheiratet, mit der mich eine eigene Geschichte verband. Auch sie war eine ehemalige Schülerin von mir, und ich hatte sie in der sechsten Klasse durchfallen lassen, was eigentlich keine große Sache war, aber zum Drama wurde, weil ihr Vater intervenierte und ich das zum letzten Anlass nahm, ihr den Aufstieg auf jeden Fall zu verwehren. Damals war Dr. Prager noch nicht pensioniert, und ich hatte in ihm einen sicheren Verbündeten, weil er eine fast krankhafte Aversion pflegte gegen diese Söhnchen und Töchterchen, für die im Zweifelsfall der Papa es richtete und die dann alles verstopften, den anderen nicht nur die Stellen, sondern das Leben wegnahmen und selbst bei erwiesener Unfähigkeit glaubten, sie hätten etwas Besseres verdient und seien mit dem, was ihnen zugeschanzt wurde, unter ihrem Wert geschlagen. Er hatte einmal

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