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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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das Sagen habe. Er hatte das größte Vergnügen daran gefunden, ihren groben, die Grobheit auch noch absichtlich hervorkehrenden Dialekt zu imitieren, konnte aus dem Stegreif Sketches inszenieren, wie sie sich gegenseitig den Zahnarzt, den Gynäkologen, den Anwalt als den »Pöschten« empfahlen, und jetzt hatte er selbst die Aussicht, als Architekt unter der Fuchtel von Herrn Oswald einer dieser »Pöschten« zu werden, wie ich sie seinerzeit gehabt hätte, wenn ich Manon nicht hätte durchfallen lassen, ein »Pöschter« unter lauter Hornvieh, das sich schwipp! und schwapp! mit Aufträgen und Einfluss versorgte. Es waren natürlich auch Sprüche gewesen, halbstark, und ich beging nicht den Fehler, ihn so viele Jahre danach daran zu messen, eher tat er es selbst, und sein anfängliches Unbehagen kam von daher. Zumindest brauchte er eine Weile, bis er sich entspannte, und obwohl wir über anderes sprachen, hatte ich die ganze Zeit den Eindruck, dass das Thema beständig an die Oberfläche drängte.
    »An die paar Annehmlichkeiten, die dieses Leben mit sich bringt, gewöhnt man sich«, sagte er schließlich. »Doch retten kann einen das am Ende auch nicht.«
    Ich konnte das Wort unmöglich überhören. Schon als ich zum Tor hereingekommen war, hatte ich beim ersten Blick auf das Anwesen gedacht, ob das Christophs Art war, sich zu retten, und dachte jetzt, dass es keine Rettung gab und dass das ganze Geheimnis darin bestand, das Leben auszuhalten, notfalls sogar mit Haus, Frau und Schwiegereltern in Sichtnähe, und sich nicht dagegen zu wehren. Das sagte ich nicht, und tatsächlich hätte ich den Teufel getan, es zu sagen, aber der Gedanke, so fremd er mir sein musste, stimmte mich versöhnlich. Ich hatte erwartet, dass er es mir schwerer machen würde, nachdem wir uns so viele Jahre aus dem Weg gegangen waren, aber er hätte nicht offener sein können, und auffallend war nur, wie lange wir brauchten, um endlich zum Punkt zu kommen, geradeso, als hätten wir uns keinen absurderen Hintergrund für das Gespräch aussuchen können, das wir dann führten, und scheuten es deswegen.
    Jedenfalls hatte ich Daniel kaum erwähnt, als Christoph sagte, er glaube nicht, dass die Geschichte auch nur das Geringste mit ihm zu tun habe. Er nahm endlich in einem der Sessel mir gegenüber Platz, nachdem er davor im Stehen eine nervöse Unruhe verbreitet hatte, und legte in den Satz seinen ganzen Nachdruck. Er strahlte immer noch etwas jungenhaft Gewinnendes aus, wenn er einen ansah, und er fixierte mich jetzt über den Holztisch hinweg, als wollte er keinen Zweifel an seiner Lauterkeit aufkommen lassen.
    »Du brauchst dir doch nur das Dilettantische der Ausführung anzuschauen«, sagte er. »Glaubst du, Daniel würde sich bei seinem Perfektionismus so stümperhaft anstellen, dass es dann alle für einen Kinderstreich halten?«
    Er wischte seine eigene Frage weg, obwohl er damit nur genau das zum Ausdruck brachte, was ich selbst schon gedacht hatte, und meinte, das sei es aber nicht, was ihn so sicher mache.
    »Ich bin überzeugt, dass er gar nicht im Land ist. Du musst doch wissen, dass er nach Israel wollte. Er war bei dir, um sich Geld zu leihen. Ich habe ihm selbst eine kleine Summe gegeben.«
    »Ist das nicht ein halbes Jahr her?«
    »Mag schon sein, aber ich habe erst vor drei Wochen von ihm gehört«, sagte er. »Da war er immer noch dort und hat nicht den Anschein erweckt, dass er so bald zurückkommen würde.«
    Ich sparte mir zu sagen, dass das kein Alibi war und dass es Daniel immer noch Zeit genug für beide Bombendrohungen gelassen hätte. Für mich sprach es sogar gegen ihn und passte zu dem »Kehret um!« und dem »Wehe dir, Chorazin! Wehe dir, Betsaida!«-Irrsinn. Ich war nicht im Bild, wo er sich in den Monaten vor seinem letzten Besuch bei mir überall aufgehalten hatte, aber dass er ausgerechnet noch einmal nach Israel wollte, konnte kein Zufall sein. Er hatte nicht gesagt, wofür er das Geld brauchte, das ich ihm gegeben hatte, und ich bereute jetzt, dass ich nicht neugieriger gewesen war.
    »Offen gestanden, kommt es für mich überraschend, dass er in Israel sein soll«, sagte ich. »Hat das etwas mit dem Reverend zu tun?«
    Ich hatte den mitleidigen Ausdruck nicht erwartet, mit dem Christoph darauf reagierte. Wie um Zeit zu gewinnen, blickte er hinunter zum Tor, das sich öffnete und wieder schloss, und ließ die zwei Mädchen nicht aus den Augen, die eintraten und, miteinander sprechend und gestikulierend, den Weg

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