Eine Ahnung vom Anfang
gruppiert waren. Sie war auf diese ausgehungerte, amerikanische Weise schlank, trug Tenniskleidung, ein weißes Trikot, ein hellblaues Röckchen, weiße Turnschuhe, und kehrte nicht mehr die teenagerhafte Ablehnung hervor, mit der sie damals die Welt auf Abstand gehalten hatte, sondern verschanzte sich hinter einer kalten Distanziertheit. Sie hatte jeden brüsk korrigiert, der ihren Namen französisch aussprach, als wollte sie nur keine unnötigen Feinheiten aufkommen lassen, und bei der Erinnerung an dieses Insistieren und den dahinterstehenden Stolz auf das Wahre und Authentische eines möglichst ruppigen Verhaltens schauderte es mich. Es war in ihrer Art gelegen, zu allem erst einmal nein zu sagen, auch wenn es sich um die Wahrheit einer Tautologie gehandelt hätte, aber sobald ich sie sah, wusste ich, dass sie sich diese Mühe nicht mehr machen würde und längst gelernt hatte, dass Höflichkeit die bessere Waffe war.
»Sie entschuldigen mich«, sagte sie, noch bevor ich überlegen konnte, ob ich sie auf die Schule ansprechen sollte oder nicht. »Ich bin leider verabredet und muss Sie allein lassen. Mein Mann steht Ihnen aber jeden Augenblick zur Verfügung. Ich nehme an, Sie sind doch seinetwegen gekommen.«
Damit verschwand sie ohne ein weiteres Wort, und ich weiß nicht, ob ihr Einstand dann auch das Gespräch mit Christoph bestimmte. Ich kam mir jedenfalls vor wie in einem schlechten Film, mit diesem Auftritt oder vielmehr Abgang der Dame des Hauses, den jeder kluge Regisseur als Abklatsch eines Abklatsches herausschneiden würde, und überlegte, ob ich mich nicht einfach davonstehlen sollte. Ich erinnerte mich, wie Manon in dem Jahr, als ich sie durchfallen ließ und es schon klar war, dass es darauf hinauslaufen würde, mich einmal in der Pause abgefangen hatte. Sie war dicht vor mir stehengeblieben, um zu fragen, warum ich Mädchen nicht möge, und sah mich an, als ob sie mich in der Hand hätte. Ich ging wortlos an ihr vorbei, aber etwas von der ohnmächtigen Beklemmung des Ausgeliefertseins, die ich damals empfand, beschlich mich auch jetzt wieder. Vor mir auf dem Holztisch, wie eigens für mich hingelegt, lag ein Buch, ein roter, dickleibiger Ziegel, mit dem ich mich eine Weile beschäftigte. Dabei schaute ich ab und zu hinüber zur Oswaldschen Villa, von deren Veranda man den besten Blick auf meinen Platz hatte, und natürlich fühlte ich mich beobachtet und glaubte auch, als Christoph schließlich erschien, dass er mir die ganze Zeit schon von irgendwo zugeschaut hatte.
»Tut mir leid, dass Manon nicht freundlicher zu dir gewesen ist«, sagte er. »Ich fürchte, sie nimmt dir immer noch übel, dass sie deinetwegen ein Jahr länger hat in die Schule gehen müssen.«
Ich sah auf meine Schuhe und reagierte nicht darauf. Er hatte eine Flasche Wein in der Hand und entkorkte sie, und wie mir später erst klar wurde, tat er das wie alles andere in einer Mischung aus Ironie und Schicksalsergebenheit. Ich schaute über die Blumenrabatten neben der Treppe, und er folgte meinem Blick, ich schaute hinüber zur Villa, in deren Auffahrt ein Bediensteter Herrn Oswalds Auto wusch, schaute über die Ziersträucher hinweg zum äußersten Ende des Gartens, wo eine zusammengeklappte Tischtennisplatte in der Sonne stand, und er ließ mich nicht aus den Augen.
»Schön hast du’s hier«, sagte ich und bemühte mich, es nicht abwertend klingen zu lassen. »Ein bisschen größer als unser Haus draußen am Fluss.«
»Ein bisschen, ja.«
»Man könnte fast vergessen, dass wahre Schönheit aus dem Herzen kommt, wenn man sich hier umschaut und sieht, dass alles gut ist.«
Es war nicht so, dass er sich am liebsten entschuldigt hätte, als ich das aussprach, aber er vergewisserte sich mit einem schnellen Blick meines Wohlwollens und lachte nervös.
»Du scheinst immer noch der Alte zu sein«, sagte er dann ein wenig gequält. »Aber so einfach, wie du glaubst, ist es nicht.«
Ich musste ihn nicht erinnern, wie sehr er das alles damals im Sommer abgelehnt hatte, und versuchte es auch gar nicht. Er war in seinen Vorstellungen manchmal sogar weiter gegangen als Daniel, wenn sie darüber sprachen, was sie im Herbst machen wollten, und ich hatte noch im Kopf, wie er einmal sagte, die schlimmste und im Grunde genommen einzige unerlaubte Form des Scheiterns sei, Erfolg in der Provinz zu haben, weshalb sie sich auf jeden Fall verbieten müssten, Teil dieser verkommenen Clan-Gesellschaft zu werden, die in unserer kleinen Stadt
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