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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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mich überhaupt erst auf ihn aufmerksam gemacht. Sie konkurrierten um ihn, und bei ihren Gesprächen im Konferenzzimmer klang immer wieder durch, was für große Stücke sie einerseits auf ihn hielten und welche Befürchtungen sie andererseits hegten, wenn ihn nicht jemand an die Hand nehme und von seiner Neigung zum Spintisieren und Träumen und Sich-Verlieren in irrealen Welten abbringe.
    Ich habe mich oft gefragt, warum ausgerechnet er so hervorstach. Es gab immer wieder Schüler mit einem Sonderstatus, aber in meinem ganzen Lehrerdasein hatte er die Gemüter ohne Zweifel am meisten bewegt. Ich spare mir die Anekdoten, die über ihn kursierten, Petitessen, die schnell ein Eigenleben entwickelten und, wenn man genau hinsah, doch nichts waren als die Aufgeregtheiten einer kleinen Stadt. Stellvertretend die eine, wonach er während meiner Zeit in Istanbul einen Leibwächter gehabt haben soll, zum Schutz vor den anderen, einen regelrechten Trabanten, der nicht von seiner Seite gewichen, aber leider vor der Oberstufe abgegangen sei. Dabei trat er in allen Erzählungen über ihn selbst als der Bestimmende auf, nie um ein Wort verlegen, obwohl ich ihn ganz anders zu kennen glaubte und als eher zurückhaltend erlebt habe. Er hatte eine Reihe von Kollegen fast zur Verzweiflung gebracht, weil er meinte, ihnen ihr Fach erklären zu müssen, aber sowenig sie ihn deshalb mochten, auch sie räumten ein, er sei kein bloßer Schaumschläger und habe zu den entferntesten Themen etwas beizutragen.
    Selbstverständlich war das alles kein Beweis, aber es würde dann doch herangezogen werden, wenn es um den Anfang einer Geschichte ginge, die mit dem Bild in der Zeitung endete, genauso wie mein Verhältnis zu ihm für eine Erklärung herhalten müsste. Ich hatte ihm vom ersten Schuljahr an, in dem ich sein Lehrer war, Bücher geliehen, und wenn man wollte, fand man darunter auch Titel, die angetan waren, ihn für einen normalen Alltag untauglich zu machen, aber Hunderte, Tausende von Leuten lieben dieselben Bücher und wissen damit umzugehen, fühlen sich jedenfalls nicht aufgerufen, das eigene Leben zu sabotieren, wie er es getan hat. Es begann damit, dass er mich eines Tages fragte, was er lesen solle, die gleiche Frage, die mir Robert in seinem Alter immer gestellt hat, und nachdem ich lange versucht hatte, das zu verhindern, waren es am Ende auch Roberts Bücher gewesen, die ich ihm gegeben habe. Davor hatte ich ihn immer links liegenlassen, weil ich den Ruf eines Strebers nicht mochte, der ihm voraus- und hinterhereilte, bis er mich an einem Samstag nach der letzten Stunde abfing und sich meine Aufmerksamkeit regelrecht erzwang.
    Ich war gerade dabei, meine Utensilien zusammenzupacken, da stand er plötzlich vor mir, ein Junge, wie es in dem Alter viele gibt, zurückhaltend, schüchtern und im nächsten Augenblick forsch, um die Schüchternheit zu überspielen.
    »Sie mögen mich nicht.«
    Es war eine Feststellung, bei der nicht einmal das Erpresserische, das eine solche Aussage gewöhnlich hat, eine große Rolle spielte, und ich sah ihn müde an, während ich den Impuls unterdrückte, einfach ja zu sagen.
    »Warum sollte ich dich nicht mögen?«
    Natürlich hätte ich energischer auftreten müssen, aber verführt von den großen Augen hinter der dicken Brille, von seinem streng gescheitelten Haar oder wovon immer auch sonst, ließ ich mich dazu hinreißen, ihm eine Hand auf die Schulter zu legen.
    »Wie kommst du darauf?«
    »Na ja«, sagte er. »Darüber müssen wir nicht reden.«
    Er schien sich jetzt doch unbehaglich zu fühlen.
    »Ich kann damit leben, wenn Sie mich nicht mögen, aber ich würde trotzdem gern wissen, ob sich etwas daran ändern lässt.«
    Er suchte meinen Blick und ließ ihn nicht mehr los.
    »Vielleicht sagen Sie mir einfach, was ich lesen soll.«
    In der Erinnerung hatte das für mich immer noch etwas Umwerfendes, und im Gehen flüsterte ich den Satz leise vor mich hin. Ich war beim Fußballplatz angelangt, und in der Polizeiwache am anderen Ende brannte noch Licht. Es war einer meiner üblichen Wege auf meinen nächtlichen Spaziergängen, und wenn ich mich dem Gelände näherte, hatte ich immer die Vorstellung, das Flutlicht könnte mit einem lauten Klacken angehen und zwei Mannschaften aus der Nacht reißen, die am Mittelkreis, spielbereit aufgestellt, auf den Anpfiff warteten, und die vollen Zuschauerränge würden erklären, warum die Stadt zu dieser Stunde so ausgestorben war. Nach meiner Rückkehr aus

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