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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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Istanbul hatte ich ein paar Monate lang die Jugend trainiert, und weil ich seither immer noch zu den Heimspielen ging, war mir jeder Fleck vertraut. Hinter den Toren schien der Wind den Maschendraht im Mondlicht zu bewegen, ein leise pfeifendes Geräusch, von dem ich nicht wusste, ob ich es hörte oder mir nur einbildete, es zu hören, und das mich an Fledermäuse denken ließ. Durch die Welt in dem engen Raster lief eine Wellenbewegung, es war ein Blick wie von unter Wasser oder wie in das Hitzeflimmern an einem Sommertag, auch wenn ich davon eher fröstelte. Ich ging über den Parkplatz, auf dem zwei Wohnwagen abgestellt waren, in einem davon Stimmen, das Flackern eines Fernsehers, und als ich stehenblieb, wurde es augenblicklich still, so dass ich im Fenster durch die Spalten der Jalousie das lautlose Umspringen des Bildes verfolgen konnte.
    Ich weiß, Inspektor Hule sagt, ich hätte ihn an dem Abend aufgesucht, aber das stimmt nicht, er stand vor der Wache, und ich habe ihn im Näherkommen nicht gesehen und war überrascht, als er mich aus der Dunkelheit ansprach. Er war geschieden, was ihn zu einem Kandidaten fürs Bruckner machte, wo man ihn tatsächlich von Zeit zu Zeit traf, und wenn ich spät an seinem Büro vorbeikam und sah, dass er Dienst hatte, klingelte ich manchmal, und er ließ sich in seiner Schreibtischarbeit gern unterbrechen, aber weder hatte ich das bei dieser Gelegenheit getan, noch war ich im Begriff, es zu tun. Es war reiner Zufall, dass er gerade herausgetreten war, um zu rauchen, und erst als er sich bewegte, sah ich die Glut der Zigarette, die er in der herabhängenden Hand hielt.
    »So spät noch unterwegs?« sagte er. »Lust auf einen Kaffee?«
    Ich lehnte ab, aber er überging es und bat mich, mit ihm hineinzukommen. Es war ein kühler Abend, und als er die vier Stufen zum Eingang nahm, sah ich, dass er nur ein Hemd trug und die Ärmel bis zu den Ellbogen aufgerollt hatte. Er war breitschultrig, nicht groß, im Schein des Lichts schimmerte auf seinem Scheitel eine kahle Stelle zwischen den Haaren durch, und von hinten hätten seine schmalen Hüften den Bauch nicht ahnen lassen, der ihm etwas Einschüchterndes und gleichzeitig Gemütliches verlieh. Sein Sohn ging in meine Klasse, und ich besaß sein Vertrauen, seit er einmal in meiner Sprechstunde gewesen war und ich alles getan hatte, um sein Unwohlsein zu mindern, als er mir in Zivil und fast nicht wiedererkennbar mit seinem streng nach Frisiercreme riechenden Haar und den unter der Haut sichtbaren Bartstoppeln wie ein Untergebener gegenübergesessen war. Jetzt bot er mir einen Platz in dem kleinen Vorraum an, wo zwei Plastikstühle, ein Tischchen und ein ledriger Gummibaum standen, und ging mit qietschenden Sohlen über den Linoleumboden davon. Auch hier flackerte das Licht, und während ich mich fragte, ob das Absicht war, schaute ich mich um, schaute abwechselnd auf die rauhen Rohbetonwände und zum Schalter, hinter dessen Glas ich nur Schemen erkennen konnte, bis er mit zwei dampfenden Tassen wieder auftauchte.
    »Etwas auf dem Herzen?«
    Ich hatte mich an seine Art zu reden gewöhnt, obwohl ich mich immer noch wunderte, woher sie kam. Dieses Dahingenuschle mit zusammengebissenen Zähnen schien kein Verb zuzulassen, schien es irgendwie zu erzwingen, dass jeder Satz verstümmelt wurde, und ob er zuviel Detektivfilme gesehen oder das selbst kultiviert hatte, ich wusste, für einen so Angesprochenen gehörte es sich, zuerst eine bedeutsame Pause einzulegen. Also schwieg ich eine Weile, und dann sagte ich nein, ich sei zufällig vorbeigekommen, was ich mir im nachhinein am liebsten verkniffen hätte, aber es ist richtig, dass ich nach einem neuerlichen Zögern auf die Bombendrohung zu sprechen kam und er abwiegelte, als ich ihn fragte, was davon zu halten sei.
    »Wahrscheinlich nur ein Kinderstreich.«
    Er sagte, es liege an den Zeitungen, die überhaupt erst eine Geschichte daraus machten, während es in den meisten Fällen am besten sei, einfach darüber hinwegzugehen.
    »Wer immer das war, es ist ja nicht einmal sicher, ob er überhaupt imstande ist, etwas zusammenzubauen, das dann auch wirklich in die Luft fliegt. Einen Haufen Schrott in eine Tasche packen und irgendwo anrufen, das kann jeder. Jedenfalls passiert es immer wieder, und die Erfahrung lehrt, dass man den Verrückten am besten keine Öffentlichkeit gibt.«
    Er hatte den Gürtel weiter geschnallt und lümmelte auf seinem Sessel, als wollte er mir zeigen, dass es sich

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