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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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Land, das keine Gegenwart, sondern nur Vergangenheit hat, mit einer pastoralen Szenerie, deren Idyll allein von einem zürnenden Gott bedroht wurde.
    »Man darf das nicht so ernst nehmen«, sagte ich trotzdem. »Es ist sein jugendlicher Idealismus. Er wird schon noch darauf kommen, dass es mehr braucht als ein bisschen guten Willen. Außerdem ist er sicher nicht der einzige, der so denkt.«
    Es war ein halbherziger Versuch, Daniel in Schutz zu nehmen, aber der Direktor sah mich an, als hätte er nicht richtig gehört, und sagte, wenn das stimme, seien es lauter Verrückte, die ihn nicht weiter interessierten, solange sie nicht in seine Schule gingen. Er nahm mir die Zeitung aus der Hand und zitierte, ohne hinzuschauen, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs sei ebenso ein Kriegsgott wie der Gott Mohammeds. So stand es da, und genauso war es mit den Stellen, die er jetzt regelrecht hinausbellte, wieder ohne sich auch nur mit einem Blick zu vergewissern. Er sagte, Daniel nenne es einen Aufruf zum Völkermord, mit dem der Herr sich an sein Volk wende, wobei der Junge den Fehler begehe, ihn wörtlich zu nehmen, wenn er die Israeliten auffordere, an den Amalekitern oder den Kanaanitern den Bann zu vollstrecken.
    »Weißt du, was das heißt?«
    Ich sagte nein.
    »Mit der Schärfe des Schwertes über sie zu kommen, sie auszurotten und die Erinnerung an sie unter dem Himmel auszulöschen. Schau dir die Formulierungen genau an. Den Bann zu vollstrecken an Mann und Frau, an alt und jung, an Rind, Schaf und Esel und allem, was Odem hat.«
    »Wie kommt der Bub nur darauf?«
    »Es steht in der Bibel, und natürlich hat er auch die Stelle zitiert, in der Josua den Herrn bittet, die Sonne anzuhalten, damit die Nacht später hereinbricht und das Morden bei Tageslicht weitergehen kann.«
    »Das steht in der Bibel?« sagte ich. »Das ist ja furchtbar.«
    »Es ist das Wort Gottes«, sagte er. »Furchtbar ist nur, was der Kerl daraus macht. Auch wenn in dem Artikel die aktuellen Ereignisse vollkommen ausgeblendet sind, wird natürlich eine Verbindung hergestellt. So naiv kann selbst ein Schüler nicht sein, dass er das nicht weiß, oder wenn er so naiv ist, sollte er zu Hause bleiben und nicht blind durch ein Land irren, das sich im Ausnahmezustand befindet.«
    Der Direktor hatte sich in eine Erregung hineingeredet, die sich immer mehr aufschaukelte, und sagte jetzt, dass es ihm in dieser Situation noch weniger als sonst angebracht scheine, dem völkermörderischen Gott der Juden einen anderen Gott entgegenzusetzen, der ein Kind sei und aus nichts als Liebe bestehe.
    »Genausogut könnte man den ganzen Kult um den Nazarener darauf reduzieren, dass er gesagt haben soll, er sei nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert.«
    Es klingelte, und ich sah ihm zu, wie er kopfschüttelnd an den Schreibtisch trat und den Telefonhörer abnahm. Obwohl er kaum etwas von sich gab, entging mir nicht, dass es der nächste Anrufer in dieser Sache war, und als er aufgelegt hatte, klagte er, es ziehe jetzt schon seine Kreise bis Wien. Es war ein Vertreter der Israelitischen Kultusgemeinde gewesen, der ihn aufgefordert hatte, den Unsinn abzustellen und in der nächsten Ausgabe des Blattes eine Erklärung zu veröffentlichen, wie es überhaupt dazu gekommen sei.
    »So etwas hat mir gerade noch gefehlt«, sagte er. »Als erstes muss ich jetzt Herrn Frischmann anrufen und ihn bitten, die Artikelserie zu stoppen.«
    Das war der Besitzer der Zeitung, von dem der Direktor überhaupt nichts hielt und den er jetzt einen katholischen Eiferer nannte, der unberechenbar sei, wenn man ihn reize.
    »Allein aus diesem Grund ist gar nicht sicher, wie er reagieren wird. Wenn er nur ahnt, wer interveniert hat, kann er sich auch auf die Hinterbeine stellen und sich darauf versteifen, niemandes Befehlsempfänger zu sein. Dann ist nicht mehr mit ihm zu reden.«
    Er sah mich an, aber ich hatte das Gefühl, er schaue durch mich hindurch und es wäre ihm lieber, er hätte mich gar nicht eingeweiht, und tatsächlich schien er es plötzlich eilig zu haben.
    »Du kommst doch bald wieder einmal zu uns«, sagte er mit einer Zerstreutheit, die ich sonst nicht von ihm kannte. »Meine Frau fragt schon, was los ist, weil du nichts von dir hören lässt.«
    Eine Hand auf meiner Schulter, schob er mich zur Tür, natürlich nicht ohne sich zu erkundigen, ob alles in Ordnung mit mir sei, aber ganz im Gegensatz zu der Aufmerksamkeit und Besorgtheit, mit der er mich in der Regel

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