Eine Ahnung vom Anfang
gemeinsam das Ofenrohr eingesetzt, das lange neben der Veranda gelegen war, hatten Pappe auf das Dach genagelt und schließlich in einer Laune sogar eine Phantasiefahne gehisst, aber kaum hatte er mit dem Lesen begonnen, verlor er an allem anderen das Interesse. Er hatte sich stundenlang verkrochen und am Ende gesagt, er verstehe allmählich, warum ich die alte Mühle überhaupt gekauft hätte. Ich hatte ihn nicht gefragt, was er damit meine, aber wenn ich an die Wochen zurückdachte, verschob sich mir alles, wie es sich mir damals verschoben hatte. Der Fluss war dann sofort wieder größer, riesig in seiner Ausdehnung, die Entfernung zur Stadt weiter, die Berge traten zurück, und ich sah uns in einer offenen Ebene, in der schnurgerade Straßen sich kreuzten und an deren Rändern man aus der Welt fallen konnte, unter einem wie in einem Planetarium sich wegdrehenden Himmel, über den von Ewigkeit zu Ewigkeit die Wolken zogen. Es war nicht das erste Mal, dass ich eine solche Verschiebung der Größenverhältnisse erlebte, aber was mir mehr als alles andere Sorgen bereitete, war das Licht. Es erinnerte mich an das Licht in meinen Kinderzeichnungen, in denen es ein Auge Gottes gab, mitsamt dem obligatorischen Dreieck drum herum und gleißenden Strahlen, die daraus hervorbrachen und zeigen sollten, dass ein väterlicher Blick auf allem lag.
Auf meinem Anrufbeantworter hatte ich eine Nachricht. Der Direktor bat mich, am nächsten Vormittag in meiner Freistunde zu ihm zu kommen. So ungewöhnlich das war, es deutete auch beim zweiten und dritten Anhören nichts darauf hin, dass es wegen der Bombendrohung war oder gar wegen Daniel oder wegen des Bildes in der Zeitung. Er sagte, er würde sich freuen, wenn ich es so einrichten könnte, ihn in seinem Büro aufzusuchen, und obwohl er es sonst immer anders handhabte und mich auf dem Gang ansprach, wenn er mich sehen wollte, gab es keinen Grund zum Argwohn. Ich löschte die Nachricht, schaltete alle Lichter aus, stellte mich im Schlafzimmer ans Fenster und schaute hinunter auf die Straße, wie ich es immer tat, bevor ich ins Bett ging.
Dort war, einen Tag nachdem er mich in der Schule angesprochen hatte, Daniel gestanden. Er lehnte im Eingang des gegenüberliegenden Gebäudes, vor dem Kinder einen Schneemann gebaut hatten, und das Licht von der nächsten Straßenlaterne fiel nicht auf sein Gesicht, aber es gab keinen Zweifel, er war es, der zu mir heraufschaute. Er hatte sich nach unserem Gespräch im Klassenzimmer nicht abwimmeln lassen, meine Tasche gepackt und mich gegen meinen Willen nach Hause begleitet, und etwas von der Anspannung, die er dabei ausstrahlte, etwas von der paradoxen Mischung aus Aggression und Zuwendung, wenn nicht sogar Unterwürfigkeit, schien auch in der Gestalt in der Dunkelheit zu stecken. Ich überlegte, das Fenster zu öffnen und ihm zuzurufen oder zu ihm hinunterzugehen und ihn zu verscheuchen, aber dann machte ich nur das Fernsehlicht an, stellte mich so hin, dass er mich sehen musste, und wartete, was geschehen würde. Es dauerte eine Viertelstunde, bis er aufbrach, und wenn ich es richtig beurteile, ließ er sich absichtlich Zeit und legte es gar nicht darauf an, sich im Schatten zu halten, geradeso, als wäre es ihm nur recht, wenn ich ihn erkannte.
4
Über diesen Auftritt habe ich seither ebenso oft nachgedacht wie über das Gespräch am Tag davor, seine Verstiegenheit, und dass mir immer unwohl war, wenn jemand mir auf solche Weise zu nahe trat wie Daniel. Vielleicht habe ich den Dialog ein bisschen zugespitzt, ihn noch hölzerner gemacht, noch irrealer, als ich die Worte damals empfand mit ihrer Konfrontation, ich würde ihn nicht mögen, aber so wie ich sie aufgeschrieben habe, geben sie die Stimmung dieses Dezembertags genau wieder, an dem Daniel schließlich neben mir durch die Stadt trottete. Ich erinnere mich, dass es schon, als wir die Schule verließen, zu schneien begann, und als wir vor meinem Haus ankamen, schneite es in dicken Flocken, und er stand da, als wollte er sich buchstäblich in meine Hände begeben und sich ebenso buchstäblich von mir formen lassen. Da ich ihn bis dahin nicht gefragt hatte, warum er plötzlich so erpicht auf die richtige Lektüre sei, holte ich es jetzt nach, und er sagte, ich hätte doch selbst einmal erklärt, man sei, was man lese, und er habe schon immer ein anderer werden wollen oder, wenn das nicht gehe, wenigstens ganz und gar er selbst.
Der Spott war unüberhörbar, aber ich dachte da noch,
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