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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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Wirklichkeit eher demütig beugen würde, als ihr etwas entgegenzusetzen, aber jetzt musste ich daran denken. Ich hatte mich stets gewundert über Leute, die Zeit darauf verschwenden, zu beweisen, dass Shakespeare nicht Shakespeare gewesen sei, was auch immer das dann hieß, oder dass zwei oder drei Jahrhunderte unserer Zeitrechnung gar nicht existiert hätten, und glaubte angesichts der immer abenteuerlicheren Argumente, zu denen sie sich verstieg, das Bedürfnis dahinter zu verstehen. Der Vorsatz, alles zu unterminieren, machte ihr vielleicht die Brüchigkeit ihrer eigenen Existenz erträglicher, und deshalb ahnte ich, am schlimmsten wäre für sie das Eingeständnis, dass die Dinge auf festem Grund standen.
    Ich ging an dem Tag spät von ihnen fort. Der Direktor begleitete mich hinaus, und ich dachte, er würde noch etwas Erklärendes sagen. Dann drückte er mir aber nur die Hand und schüttelte den Kopf. Ich wartete, bis die Tür zugefallen war, und eilte davon. Es war nach Mitternacht, als ich zu Hause ankam, und ich weiß noch, dass ich wieder einmal lange vor dem Regal mit Roberts Büchern stand und überlegte, welches ich mit ins Bett nehmen sollte. Damals war das noch ein allnächtliches Ritual für mich gewesen, und auch wenn ich mich seither davon verabschiedet habe, erinnere ich mich an den Zwiespalt, den das für mich bedeutete. Ich kann bis heute nicht sagen, ob Robert sich aus der Welt hinausgelesen hat oder ob es genau umgekehrt war, ein vergeblicher Versuch, sich mit dem Lesen in der Welt zu halten. Wie so oft zog ich einen Band nach dem anderen heraus und stellte alle, ohne sie aufzuschlagen oder nach kurzem Blättern, wieder zurück. Dann löschte ich die Lichter und blieb eine Weile regungslos im Dunkeln stehen.

5
    Am Morgen nach der Überraschung im Bruckner erwachte ich mit dem Gefühl, einem Alptraum entkommen zu sein. Ich wusste immer noch nicht, was ich davon halten sollte, und schwankte hin und her, wenn ich den Zeitungsausschnitt hervorholte und auf das Foto schaute. Ich dachte an mein Gespräch mit Agata, dachte an die Beschwichtigungen von Inspektor Hule und konnte es nicht fassen, wie es mir wieder gelang, mich aus dem geringsten Anstoß in eine derartige Finsternis hineinzuphantasieren. Es gab eine Bombendrohung, die nicht einmal die Polizei ernst zu nehmen schien, und ich machte eine riesige Geschichte daraus, aber in welchem Durcheinander ich war, wurde mir erst klar, als ich überlegte, von allen Menschen auf der Welt ausgerechnet Barbara anzurufen, obwohl es nicht die Uhrzeit dafür war und ich es lange nicht mehr getan hatte und sie mich nach dem Anlass fragen würde und natürlich die letzte wäre, die ich mit der Sache behelligen konnte. Sie hatte mir immer schon geraten, die Verbindung zu Daniel abzubrechen, er sei ohne Zukunft, weil er genau das sein wolle, und würde mich mit in den Abgrund reißen. Tatsächlich hatte sie einen Aufstand gemacht und war häufig ins Hotel gegangen, wenn sie bei mir zu Besuch war und er sich ankündigte, bis sie nach einem richtigen Zusammenstoß ein für alle Mal klargestellt hatte, sie werde keine weitere Nacht mit ihm unter einem Dach verbringen und ich müsse mich entscheiden, er oder sie. Das war nach seinen Wintermonaten in meinem Haus und nach seinem Aufenthalt in Bosnien gewesen, in der Zeit, als ich dachte, er würde sich doch noch irgendwie in der Stadt festsetzen, und versuchte, ihm eine Stelle zu verschaffen, in der Bibliothek oder in der Stadtverwaltung, wenn er bei mir auftauchte und um ein oder zwei Tage Unterkunft bat, immer verlegen, wenn ich ihn fragte, was er mache, verlegen und gleichzeitig aufbrausend, er komme allein zurecht und brauche meine Hilfe nicht. Sooft ich ihm ein paar Schilling oder später Euro anbot oder sie ihm wortlos in die Hosentasche steckte, war er erfreut, aber er mochte nicht darüber sprechen, wie er seinen Unterhalt sonst bestritt. Ich erfuhr es hinten herum, auf der Straße oder im Gasthaus, und wenn ich wissen wollte, ob es stimmte, dass er auf dem Bau arbeite oder dass er für die Brauerei weiter flussaufwärts Bier ausfahre, antwortete er nicht, weil er vor mir den Anschein aufrechterhalten wollte, zu etwas Großem bestimmt zu sein. Er malte sich aus, wie er über Nacht zu Geld käme, und sei es durch einen Banküberfall, selbstverständlich so elegant eingefädelt, dass er zur Legende würde, er sprach davon, im Herbst sein abgebrochenes Studium wiederaufzunehmen, und eines Tages schwadronierte er

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