Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
Vom Netzwerk:
wolle das Wort und die Liebe besiegen.«
    Vielleicht hatte er recht, dass man eine Prophezeiung darin sehen konnte, wenn von Meistern des Bösen die Rede war, die angeblich die Wüsteneien durchquerten, über die Meere führen und das Licht Europas mit ihren schwarzen Schleiern verdunkelten. Er sagte, obwohl vor fünfzig Jahren geschrieben, sei das erschreckend hellsichtig, wenn man die heutigen Verhältnisse betrachte, und ich fürchtete schon, er würde wieder zu dozieren beginnen. Er war aufgestanden und zwischen den Bücherregalen und seinem Schreibtisch hin- und hergegangen, ohne mich aus den Augen zu lassen, und jetzt trat er hinter mich, und ich spürte, wie er mir in den Nacken starrte. Das war eines der letzten Machtmittel, um einem Schüler zu zeigen, wie ausgeliefert er war, und ich saß stocksteif da, bemüht, keine Regung erkennen zu lassen, als er sagte, er wolle das alles nicht überbewerten, aber wenn wir schon über Daniel sprächen, müssten wir auch darüber sprechen.
    Dann kam er wieder mit der Bombendrohung, und ich erinnere mich, wie ich mich abrupt umdrehte und ihn ansah, als hätte ich von seinen Andeutungen ein für alle Mal genug.
    »Man kann doch nicht jemanden verdächtigen, weil er vor zehn Jahren vielleicht einmal dies oder das gelesen oder auch nicht gelesen hat.«
    Er stimmte zuerst zu, widersprach mir dann aber.
    »Warum eigentlich nicht?«
    »Dann könnten wir gleich für unsere Gedanken haftbar gemacht werden«, sagte ich. »Was dann los wäre, möchte ich mir lieber nicht ausmalen.«
    Ich fand es müßig weiterzureden und wehrte mich endlich.
    »Wie blöd muss jemand außerdem sein, wenn er sich für eine solche Aktion ausgerechnet den Bahnhof der Stadt aussucht, in der er zur Schule gegangen ist?«
    Damit erhob ich mich, und ich sah, wie überrumpelt er war. Er schien sich alle Mühe zu geben, es einfach hinzunehmen, als ich mich entschuldigte, wenn er sonst nichts mit mir zu bereden habe, würde ich mich gern empfehlen und in meine Klasse gehen, und ich war schon an der Tür, als er sagte, auf ein Wort. Ich ließ die Klinke los und drehte mich um, und in seinem Gesicht war wieder dieses Lächeln, wenn auch nur in einer eingefrorenen Version.
    »Ich kenne den Roman, den er über euren Sommer draußen am Fluss geschrieben hat«, sagte er. »Wenn du nicht willst, müssen wir nicht darüber reden, aber es wäre hilfreich, wenn du ein paar Worte dazu sagen könntest.«
    Das also war es, und ich hätte gern mein Gesicht gesehen, während ich dastand und versuchte, möglichst gelassen zu erscheinen. Es gab drei Exemplare des Manuskripts, eines hatte Daniel selbst behalten, eines war in meinem Besitz, während er mir vom dritten versichert hatte, dass er es vernichten werde, nachdem er zuerst noch spöttisch gesagt hatte, es sei für die Welt, und ich fragte mich, wie es in die Hände des Direktors gelangt war. Ich hatte meinen Blick auf den Boden gerichtet, weil ich nicht sehen wollte, wie er triumphierte, aber es genügte, seine Stimme zu hören, um mir den Rest vorstellen zu können.
    »Keine Angst, ich mache nicht den Fehler, seine Ergüsse wortwörtlich zu nehmen. Manches ist sicher nur eine Ausschmückung seiner Phantasie. Trotzdem glaube ich nicht, dass er sich alles nur ausgedacht hat.«
    Es klang, als hätte er sich die Worte vorher zurechtgelegt, und während ich unentschlossen war, ob ich ihm widersprechen solle oder nicht, verabschiedete er mich.
    »Vielleicht überlegst du noch einmal, ob dir nicht etwas einfällt, und rufst mich später an«, sagte er. »Ich wüsste nicht, was du zu verbergen hast.«
    Dann war ich draußen, und es kommt mir jetzt wie eine besondere Ironie vor, dass ich auf dem Gang als erstes auf Frau Pfeifer stieß, die mich fragte, wie es gelaufen sei. Ich wunderte mich schon nicht mehr, dass sie offenbar Bescheid wusste, aber wie sie in ihrem dunkelblauen Kostüm dastand, das ihr im Unterricht Strenge verleihen sollte, und mich hinter ihrer Brille aufgeregt blinzelnd, jedoch durchaus zugetan ansah, kam sie mir vor wie aus einer anderen Welt. Sie hatte mich gleich in einer der ersten Wochen, nachdem sie an die Schule gekommen war, bei sich bekocht, und obwohl der Abend misslich geendet hatte, war unser Verhältnis vertraut geblieben. Damals hatte sie mir ohne jede Vorwarnung ihren dreijährigen Sohn auf den Schoß gesetzt, als es Schlafenszeit für ihn war, einen wahren Wonneproppen, wie man wohl sagen muss, unschuldig und dumm wie ein Kälbchen, und ich

Weitere Kostenlose Bücher