Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein

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zerrissen werden, als Herr Bleichert in einem Olivenhain oberhalb von Magdala die Bergpredigt vorlas und als Antwort darauf unsichtbar über den Wolken ein Flieger die Schallmauer durchbrach. Das hätte einer nicht geschrieben, der ganz im Erleben des Transzendenten aufging, und er hätte auch nicht geschrieben, dass der Kerosingeruch in der Luft zum Weihrauch und zum Kerzengeruch genauso zu gehören scheine wie das Dröhnen der Triebwerke zum Beten und Singen, was Daniel den blasphemischen Gedanken eingab, im Heiligen Land existierten die unterschiedlichsten Mittel, um in den Himmel zu kommen.
    Ich erinnere mich noch, wie ich sagte, es sei ein Fehler, ihn zu unterschätzen, und wie der Direktor mir ins Wort fiel, die Gefahr bestehe doch ganz im Gegenteil darin, ihn zu überschätzen.
    »Egal, wie man es nimmt, ich habe meine Zweifel, ob er das alles allein geschrieben hat«, sagte er. »Das sind doch nicht die Gedanken, die sich ein Sechzehnjähriger macht.«
    Das stimmte, und mir war beim erneuten Lesen natürlich auch durch den Kopf gegangen, dass wahrscheinlich Herr Bleichert seine Finger im Spiel gehabt hatte. Ich war ihm gerade davor noch im Konferenzzimmer begegnet, und die Tatsache, dass er die Gelegenheit sofort nützte, mich anzusprechen, hatte mich da schon stutzig gemacht, aber jetzt war ich überzeugt, dass es kein Zufall sein konnte. Er hatte wissen wollen, wie es mir gehe, und mir viel Glück gewünscht, ohne zu sagen, wofür oder wobei, und weil wir uns sonst eher auswichen und manchmal über Monate kein Wort wechselten, war das auffällig.
    »Manches hört sich schon sehr nach Herrn Bleichert an«, sagte ich. »Man kann ihm nicht alles unterschieben, aber er hat großen Einfluss auf Daniel gehabt.«
    Der Direktor musterte mich lachend.
    »Genau das meint Herr Bleichert von dir.«
    Er kam mir über den Schreibtisch noch näher, als er ohnehin schon war, und ich wich unwillkürlich zurück.
    »Besonders zu mögen scheint ihr euch ja nicht.«
    Von gegenseitiger Abneigung will ich nicht reden, ich würde eher sagen, er habe einen Verdacht gegen mich und ich hätte einen Verdacht gegen ihn, und wenn ich dem auf den Grund zu gehen versuchte, fielen mir immer auch die beiden Male ein, die er in jenem Sommer am Fluss aufgetaucht war, und wie Daniel sich verleugnen ließ, wie er mich geradezu vor den Augen des Pfarrers gebeten hatte, ihm zu sagen, er sei nicht zu sprechen.
    »Herr Bleichert hat noch zwei Jahre nach der Israel-Reise versucht, den Buben für den Dienst am Altar zu rekrutieren, obwohl er längst hätte wissen können, dass es hoffnungslos war«, sagte ich. »Dabei ist er nicht zimperlich vorgegangen und hat ihm nachgestellt wie ein Verliebter.«
    Ich bereute das Wort in dem Augenblick, in dem ich es ausgesprochen hatte. Es gab keinen Grund für zwielichtige Andeutungen, und schon gar nicht für solche, unter denen ich selbst zu leiden gehabt hatte, und ich war froh, dass der Direktor zurückhaltend damit umging. Er sah mich an, als würde er Maß an mir nehmen, aber dann meinte er beschwichtigend, das sei eine Berufskrankheit unter Priestern, aber gewiss kein Verbrechen, dass sie von jedem Knaben dächten, er müsse einer der Ihren werden, wenn er in den Stimmbruch kam und nur schüchtern und pickelig genug im Gesicht war und vielleicht im einen oder anderen Fach mit guten Noten aufwarten konnte.
    Dabei musste ich an ein Foto denken, das Daniel mir von Herrn Bleichert gezeigt hatte. Aufgenommen war es am See Genezareth, in der Nähe von Kapernaum, und er stand mit ausgebreiteten Armen am Ufer. Er trug einen weißen, nachthemdähnlichen Überwurf mit einem kreuzfahrergroßen Kreuz und der Aufschrift PAX auf dem Rücken, den er gerade in einer Umkleidekabine am Strand angezogen hatte, und schien den Augenblick zu genießen. Eine Sekunde später, und er wäre kopfüber eingetaucht und unter Hallelujah-Rufen prustend ein paar Züge geschwommen, aber noch war er nicht sicher, ob ihn nicht vielleicht doch die Oberfläche tragen würde und er übers Wasser wandeln könnte. Zumindest war das Bild so gestellt, dass man genau das denken sollte, und ich erinnere mich, wie Daniel sagte, es sei eine der wenigen Situationen auf der ganzen Reise gewesen, in denen Herr Bleichert sich einen Scherz erlaubt habe und nicht aufgetreten sei wie ein grimmiger Verweser der ewigen Wahrheit.
    Dem Direktor erzählte ich nichts davon, obwohl es mich reizte, seine Selbstgewissheit zu untergraben. Ich riet ihm, den Klamauk