Eine Ahnung vom Anfang
einmal in die Runde. Sie war schon ein Stück gefahren, als sie sich umwandte und, eine Hand auf der Lenkstange, mit der anderen winkte. Dabei drehte sie einen Kreis, und einen Augenblick leuchtete ihr Haar im Sonnenlicht, während der Wald dahinter tief im Schatten lag.
»Einen schönen Sommer noch«, rief sie, als wäre sie auf einmal unschlüssig, ob sie ihren Abgang besonders leicht oder besonders dramatisch gestalten sollte. »Wenn ihr euch langweilt, wisst ihr, wo ihr mich findet.«
Ich sah, dass auch Christoph angefangen hatte zu winken, und wagte nicht, meinen Blick auf Daniel zu richten, der neben mir stand und den Kopf gesenkt hatte, fing aber jetzt an seiner Stelle an zu rufen, als wäre sie im nächsten Augenblick aus der Welt.
»Besuch uns wieder«, hörte ich meine Stimme fremd in der Morgenluft verhallen, aber statt die Situation zu entschärfen, war es nur Missklang. »Du bist immer willkommen.«
Wir schauten ihr nach, solange sie zu sehen war. Eine Zeitlang schimmerte noch ihre weiße Bluse zwischen den Bäumen, und dann blieben wir regungslos stehen, als erwarteten wir, dass sie weiter vorn, wo die Wiese begann, wieder auftauchen würde, obwohl der Weg nicht dort verlief. Vielleicht bildete ich es mir nur ein, aber ich hatte den Eindruck, die Jungen vermieden es, einander anzusehen, und auch ich suchte nicht ihren Blick. Wir gingen zurück zum Haus, und ich erinnere mich, dass ich zum ersten Mal, seit wir zusammen am Fluss waren, nicht wusste, was wir tun sollten, und auch die beiden schienen ihrer Selbstverständlichkeit beraubt, legten sich nicht wie sonst in die Hängematten und lasen oder schlenderten, in ein Gespräch vertieft, hinunter zum Wasser, sondern standen untätig da und schwiegen, als wäre jedes Wort ein Vergehen.
Ich machte nicht einmal den Versuch, Daniel darauf anzusprechen, dass er sich hatte retten lassen, und vielleicht war das ein Fehler. Erklären kann ich es nicht anders, als dass ich den verschämten Umgang, den die beiden an diesem Tag miteinander hatten, stillschweigend übernahm und jedes Tabu respektierte, obwohl es womöglich gar keines gab. Es war das erste Mal, dass ich ihn mir gegenüber so verschlossen erlebte, und weil ich nicht dagegen anging, verpasste ich vielleicht die einzige Möglichkeit, ihm die Fragen, die sich mir aufdrängten, ganz selbstverständlich zu stellen. Denn immer, wenn wir in Zukunft das Thema berührten, verfiel er wieder in die betretene Stimmung, die an diesem Morgen geherrscht hatte, und zwischen uns breitete sich das gleiche Schweigen aus wie damals. Er behandelte es dann am ehesten, als wäre alles nur ein Witz gewesen, und allein schon deshalb schien es mit jedem wenn auch noch so zögerlichen Vorstoß meinerseits weniger wirklich zu werden.
Ich weiß nicht, wie wir die zwei oder zweieinhalb Stunden verbrachten, bis der Reverend mit seiner Frau und den beiden älteren Mädchen sich dem Grundstück näherte, aber es schien mir eine lange Zeit, und dass ich mich überhaupt noch einmal mit ihm abgab, war ohne Zweifel der Erleichterung geschuldet, dass er durch sein Erscheinen die Beklemmung auflöste. Er rief schon von weitem, als befände er sich auf feindlichem Territorium und müsste aus der Ferne kundtun, er komme in freundlicher Absicht, und als er schließlich vor dem niedergebrannten Feuer stand, atmete er schwer. Seine Frau reichte ihm ein Taschentuch, mit dem er sich den Schweiß von der Stirn wischte, und die beiden Mädchen standen daneben, einerseits als erwarteten sie eine Szene, andererseits aber auch so, als gäbe es mit diesem Vater für sie nichts unter dem Himmel, was ihnen fremd sein könnte.
Auffallend war, dass er die beiden Jungen von Anfang an so behandelte, als wären sie nicht da. Ich ließ meinen Blick ein paar Mal zwischen Daniel und ihm hin- und herschweifen, aber es gab kein Zeichen des Wiedererkennens von ihnen, und der Reverend wandte sich mit penetranter Ausschließlichkeit an mich. Er entschuldigte sich in einem fort, während er zu Atem zu kommen versuchte und sich ungeniert umsah.
»Kann es sein, dass ich meine Jacke hier vergessen habe?«
Ich ging nicht darauf ein und erkundigte mich übergangslos nach der anderen Tochter. Die Frage schien ihn zu überraschen. Er blinzelte nervös, und einen Augenblick hatte ich sogar den Eindruck, er überlege, von wem ich überhaupt sprach.
»Bedenken Sie bitte, dass sie adoptiert ist«, sagte er dann, als hätte das etwas damit zu tun. »Sie läuft von Zeit
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