Eine Ahnung vom Anfang
schnellen Bewegungen, warf die Hände von sich und machte mit Zeige- und Mittelfinger kurze und unmotivierte Schnitte in die Luft.
»Das heißt natürlich, dass es auch einer der schrecklichsten Orte auf der Welt ist«, sagte er. »Dabei wird der Kampf um Jerusalem nicht auf dem Tempelberg ausgetragen, wie alle glauben.«
Bis dahin hatte er mich nicht aus den Augen gelassen, aber jetzt vergewisserte er sich mit einem Blick in die Runde, dass alle ihm zuhörten, und hob seine Stimme.
»Es geht nicht um das irdische Jerusalem der Juden. Es ist ein Kampf um den Menschen, und der wird an jedem Tag und zu jeder Stunde nirgendwo anders als im Menschen selbst geführt. Es geht um das himmlische Jerusalem, und das ist das Jerusalem der Engel und der Heiligen.«
Ich wusste, dass solche Gespräche nicht gut enden, und war froh, dass in diesem Augenblick seine Frau sich bemerkbar machte, fast nicht zu hören, aber trotzdem mit einer unmissverständlichen Bestimmtheit und paradoxerweise so, als käme ihre Stimme aus dem Dunkeln.
»Lass es gut sein«, sagte sie. »Es ist alles gesagt.«
»Aber der Kampf um Jerusalem hat die größte Dringlichkeit«, fing er noch einmal an, und es hatte etwas vom Quengeln eines Kindes. »Es ist ein Kampf zwischen den Mächten des Lichts und den Mächten der Finsternis.«
»Ich weiß nicht, warum du dich schon wieder so hineinsteigerst«, sagte sie. »Beruhige dich doch. Alles hat seine Zeit. Du musst niemandem etwas beweisen.«
Es genügte, dass sie seinen Namen aussprach, um ihn endgültig zu beschwichtigen. Wenn ich sie richtig verstand, hieß er Abner, und obwohl nichts abwegiger war und ich mit diesem Denken nichts zu schaffen haben wollte, verfiel ich auf den absurden Gedanken, so müsse sich der Herr seinen Propheten unter freiem Himmel zu erkennen gegeben haben. Ich hatte den Namen noch nie gehört, aber er kam wie von weit her und verfehlte seine Wirkung auf ihn nicht, was ich auch daran sah, dass er plötzlich wie nackt vor ihr saß, so viel Macht schien sie über ihn zu haben.
»Es gibt eine Zeit zu kämpfen und eine Zeit, vom Kampf Abstand zu nehmen«, sagte sie. »Die Entscheidung darüber zu treffen liegt nicht bei uns.«
Es war, als hätte sie ein Zeichen gegeben, aber mir bleibt bis heute die Eile ein Rätsel, in der sie sich dann auf und davon machten. Der Reverend war schon auf den Beinen, als sie sagte, es sei wohl an der Zeit zu gehen. Er war wieder mit einer Flinkheit aufgesprungen, die für seine Körperfülle ungewöhnlich wirkte, und trieb die beiden Mädchen an, die ihrerseits mit verträumten Bewegungen hochkamen und mich an Wasserpflanzen erinnerten, die in einer trägen Strömung hin und her schlingerten.
Ich dachte zuerst, sie würden auf seine Befehle nicht reagieren, und sah ihnen fasziniert zu. Wenn sie gerade noch reglos dagesessen waren, ihre Rücken kerzengerade, dass ich mich fragte, wie sie das durchhielten, schienen ihre Oberkörper jetzt im Stehen kaum merklich aus dem Lot zu sein, einmal ein wenig zur einen, einmal zur anderen Seite geneigt. Als sie auf mich zukamen, fielen mir ihre dunklen, fast schwarzen Augen auf, und ich versuchte mir vorzustellen, wie sie in der Nacht davor am Feuer gewirkt hatten. Diese grazienhafte Steifheit gab ihnen etwas Entrücktes, und mit dem Wald und dem Fluss im Hintergrund und der manchmal geradezu kosmischen Stille, die einem hier draußen von einer Sekunde auf die andere bewusst werden konnte, machten sie mich schaudern.
Obwohl ich gern etwas gesagt hätte, stand ich stumm da. Sie gaben mir schweigend die Hand, bevor sie zu den beiden Jungen gingen, aber auch da fiel kein Wort, und nur der Reverend drängte weiter zur Eile, bis seine Frau ihn von neuem unterbrach. Er murmelte eine Entschuldigung, entfernte sich ein paar Schritte, kam jedoch gleich wieder zurück und trat vor mich hin.
»Eine letzte Frage.«
Ich nickte nur.
»Lebt Ihre Mutter noch?«
Ich weiß nicht, warum ich zögerte. Abergläubisch bin ich nicht, aber ich dachte, es hänge jetzt alles von der richtigen Antwort ab, nur dass ich nicht wusste, welche das war. Einen Augenblick überlegte ich sogar, ihn zu bitten, mir die Alternativen aufzuzählen, als gäbe es so viele.
»Sie lebt noch«, sagte ich dann. »Und Ihr Vater?«
»Was soll mit ihm sein?«
»Ist er tot?«
»Er ist letztes Jahr gestorben«, sagte er. »Er hat nicht viel davon gehalten, aber immerhin noch mitbekommen, dass wir hier sind.«
Danach machten sie sich ohne weitere
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