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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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zu Zeit weg und taucht ein paar Tage später wieder auf.«
    Obwohl ich einschätzen konnte, was davon zu halten war, klang es für mich befremdlich, dass eine nächtliche Suche den Fluss entlang sich so schnell in Wohlgefallen aufgelöst haben sollte.
    »Es ist Ihre Tochter«, sagte ich. »Sie müssen selbst entscheiden, was Sie tun wollen, aber haben Sie nicht wenigstens die Polizei informiert?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Es gibt keinen Grund, sich Sorgen zu machen.«
    Dabei legte er die Hände zusammen, hob sie in einer beschwörenden Geste auf Brusthöhe und sah mich mit einem irritierten Blick an.
    »Ich kenne sie lange genug, um zu wissen, dass es ihre Art ist, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken«, sagte er. »Ich bin sicher, sie sitzt irgendwo im Gebüsch und beobachtet uns.«
    Erst am Tag darauf erfuhr ich, dass sie die ganze Zeit zu Hause gewesen war, was seine Gelassenheit erklärte, nicht aber, wozu er diesen Aufwand trieb. Wenn er die Geschichte von ihrem Verschwinden tatsächlich nur erfunden hatte, als Vorwand, an den Fluss hinauszukommen, hätte er es sich einfacher machen können, doch immerhin schaffte er es mit seinem Gerede, dass ich nicht weiter nachfragte. Zwar war es mehr eine Geste der Verlegenheit, als dass ich mir das wünschte, aber ich lud ihn ein, sich einen Augenblick zu setzen, und er entschuldigte sich wieder, nahm dann aber Platz und stellte seine Frau als seine Frau und die zwei Mädchen mit ihren Namen vor. Ein Blick genügte, dass sich die Ältere mit der Jüngeren verständigte, und beide spielten die Andeutung eines Knickses, bevor sie sich niederließen, allem Anschein nach glücklich, wieder in den Hintergrund treten zu können, während er sich regelrecht über mich hermachte.
    »Ich weiß, dass Sie nicht gerettet werden wollen«, sagte er. »Deshalb finde ich es um so schöner, noch einmal in irdischen Gefilden mit Ihnen zusammenzutreffen.«
    Es war ein Glück, dass er nach diesem öligen Einstieg gleich auf die Bruchlandung des Bombers zu sprechen kam und mit der Bemerkung begann, sein Vater habe sich mitten im Feindesland gefühlt wie im Paradies, als er sicher auf dem Boden war. Ich hatte ihm ein Kompliment für sein Deutsch gemacht und ließ mich jetzt hinreißen, ihm von meiner Mutter zu erzählen und davon, dass sie mit anderen Schulkindern noch vor den ersten Uniformierten und vor der Ambulanz bei dem Wrack angelangt sei. Dabei hatte ich gar nicht überlegt, ob ich es tun solle oder nicht, aber ich ahnte, dass es ein Fehler war, als er erwiderte, er wundere sich nicht im geringsten darüber, weil er schon bei unserer ersten Begegnung das Gefühl gehabt habe, es gebe eine besondere Verbindung zwischen uns.
    »Mein Vater hat mir von den Kindern erzählt«, sagte er. »Sie sind in einiger Entfernung stehengeblieben und haben wie auf Kommando zu schreien begonnen.«
    Ich hatte mir nie Gedanken darüber gemacht, aber aus irgendeinem Grund stellte ich mir eine lautlose Szene vor und war von seiner Schilderung allein schon deshalb überrascht.
    »Sie haben geschrien?«
    »Vor ihnen ist bereits ein Mann an der Unglücksstelle gewesen und hat in einem fort Schweinehunde geschrien, und sie haben es ihm nachgemacht.«
    »Sie haben Schweinehunde geschrien?«
    »Die Mutigsten sind ein paar Schritte vorgelaufen und dann schnell wieder zurückgewichen«, sagte er. »Sie haben sich gegenseitig zu übertreffen versucht und sind immer näher gekommen und lauter geworden.«
    Ich wollte ihn fragen, ob das auch für die Mädchen gegolten habe, aber dann ließ ich es sein. Die Hoffnung, die ich damit verband, wäre nur allzu durchschaubar gewesen, und ich hätte meine sentimentalen Erinnerungen an das, was meine Mutter mir erzählt hatte, wohl auch dann nicht retten können, wenn er verneint hätte. Mochte das für mich auch eine Korrektur bedeuten, so schien es für ihn nur eine lustige Anekdote zu sein, die auf die Pointe hinauslief, dass er auf diesem Weg zu seinem ersten Wort in der deutschen Sprache gekommen sei, wenngleich in der falschen Bedeutung.
    »Die Wahrheit ist, ich habe lange gebraucht, um zu begreifen, dass es sich um ein Schimpfwort handelt, weil mein Vater es mit soviel Zärtlichkeit ausgesprochen hat«, sagte er. »Er hat mich als Kind auf seinen Schoß gesetzt und mit seiner weichsten Stimme kleiner Schweinehund genannt.«
    In der dann folgenden Stille sah ich die beiden Mädchen an, die mit ausdruckslosen Gesichtern zuhörten, solange er erzählte, und auch die Blicke

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