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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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einem See gehabt, in dem er all seine Kindheitssommer verbracht habe, und ich wusste erst recht nicht, was er von mir wollte.
    »Es muss bei Ihnen wunderbare Plätze zum Angeln geben«, sagte er, als ich schon dachte, er würde sich ganz in Sentimentalität auflösen. »Angeln Sie?«
    »Nein, aber warum fragen Sie mich das?«
    »Sie angeln nicht?«
    »Nein«, sagte ich, jetzt schon gereizter. »Ich angle nicht.«
    »Sie haben also keine Ahnung, wie es ist, wenn Sie einen wirklich schweren Brocken an der Leine halten«, sagte er, und ich konnte nicht anders, als an seine grotesken Missionierungsversuche zu denken und daran, dass er in seinem Selbstverständnis wahrscheinlich ein Menschenfischer war. »Es ist das nackte Leben, das Sie in den Händen spüren. Sie können sein Gezappel fühlen. Wissen Sie, was Ihnen da entgeht?«
    Seine Hartnäckigkeit hatte mich bockig gemacht, aber als ich sagte, ich sei nicht einmal sicher, ob es in dem Fluss überhaupt Fische gebe, lachte er nur.
    »Natürlich gibt es Fische.«
    Er sah mich mitleidig an.
    »Dann jagen Sie wohl auch nicht?«
    Es folgte die Geschichte von seinem ersten Gewehr, das er zum zehnten Geburtstag geschenkt bekommen habe. Ich konnte ihn nicht bremsen, er schilderte mir glückselig, wie er mit seinem Großvater in sternklaren Nächten auf die Jagd gegangen sei, irgendwo im amerikanischen Süden. Er beteuerte, nie glücklicher gewesen zu sein als da, nie mehr erfüllt von der Gewissheit, ein Mensch nach Gottes Bild zu sein, und sprach von der Unschuld des Landes, das vor wenigen Generationen noch den Indianern gehört habe.
    »Sie fischen und Sie jagen nicht«, sagte er schließlich, und es klang, als hätte er gesagt, ich würde nicht trinken und nicht essen. »Was machen Sie dann da draußen?«
    Abgesehen von dem Vater und der Tochter bei Roberts Begräbnis, mit denen ich kaum gesprochen hatte, war er mein erster Amerikaner. Ich kannte ihn gerade einmal eine Viertelstunde, aber er war ein besonderes Exemplar von Mann mit seiner vierschrötigen Visage und der Beharrlichkeit, mit der er auf mich einredete. Irritiert wartete ich auf eine Pause, bevor ich mich ihm mit einem Ruck ganz zuwandte. Ich hatte nicht gedacht, dass das reichen würde, um ihn einzuschüchtern, aber etwas in meinem Blick musste ihm zu verstehen gegeben haben, dass es genug war, so wie er eilig seinen Kaffee austrank, den er noch nicht angerührt hatte, wobei er nach jedem Schluck absetzte und mich in den Augen behielt.
    »Wenn das Ihre neue Strategie sein soll, sich an jemanden heranzumachen, dann ist vielleicht sogar die Brachialmethode besser«, sagte ich. »Warum fragen Sie mich nicht, ob ich an Jesus Christus und an die Bibel glaube, und sparen sich dieses Gerede?«
    »Nichts für ungut.«
    »Fragen Sie mich doch, ob ich gerettet werden will.«
    »Verstehe«, sagte er. »Ich frage Sie nicht.«
    »Ich will aber gerettet werden.«
    »Verstehe.«
    »Fragen Sie mich, ob ich mit Ihnen beten will.«
    Er sah mich jetzt mit offenem Mund an, und ich musste mich zurückhalten, dass ich ihm nicht ins Gesicht lachte, so absurd erschien mir die Situation.
    »Ich will mit Ihnen beten«, sagte ich, als er nicht antwortete, und ich hatte kein Gefühl, ob ich laut oder leise war. »Fangen Sie an, und ich spreche Ihnen Wort für Wort nach.«
    Wie aufgebracht ich war, merkte ich nur an seiner Reaktion. Er ließ sich mit einer flinken Bewegung, die ich bei einem Mann von seiner Statur nicht erwartet hätte, vom Hocker gleiten und saß schon wieder mit seiner Familie am Tisch, als ich aufstand und ging. Ich überlegte, bei ihnen stehenzubleiben und etwas Beschwichtigendes zu sagen, aber dann winkte ich ihm zu, und er winkte zurück, während die drei Mädchen mich mit feindseligen Blicken anstarrten und seine Frau in ihrer Handtasche herumkramte. Sie konnten unser Gespräch nicht mitgehört haben, aber offenbar kannten sie die Niederlage, dass er irgendwo abgeblitzt war, und hatten eine antrainierte Haltung entwickelt, sich hinter ihn zu stellen. Ich sah, dass er auf der Stirn schwitzte, sah den Schweiß unter seinen Achseln und war froh, als ich draußen war. Dort strich ich eine Weile um mein Auto herum und atmete tief ein und aus, bevor ich einstieg, und als ich auf die Autobahn fuhr und von einem Gang in den nächsten hinaufschaltete, verstand ich nicht, warum mich dieses Gefühl von Freiheit packte, warum dieser Ausbruch über alle Maßen, nur weil ich ihm entkommen war.

3
    Ich hätte nicht gedacht,

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