Eine Ahnung vom Anfang
waren den ganzen Vormittag am Wasser drunten gewesen und hatten zu dem Zug hinübergeschaut, der am anderen Ufer stehengeblieben war. Er war schon im Schrittempo in die Kurve eingebogen, hinter der er für uns sichtbar wurde, dann zum Halten gekommen und dann für vielleicht hundert oder hundertfünfzig Meter noch einmal angefahren und schließlich ganz zum Stillstand gelangt. Einen kurzen Halt hatte es schon öfter gegeben, aber als nach einer Viertelstunde die Waggons immer noch in der prallen Sonne standen wie ein für alle Mal dort abgestellt, gingen wir auf die Schotterbank hinaus und setzten uns auf den Felsen. Es dauerte eine Weile, bis die ersten Leute ausstiegen und nun ihrerseits über die Böschung zum Fluss herunterkamen, aber schon öffneten sich immer mehr Türen, bis am Ende das ganze Uferstück mit Wartenden gesäumt war. Wir spekulierten natürlich, was die Ursache für die Unterbrechung sein mochte, aber soviel wir auch hin- und herriefen, niemand schien etwas zu wissen, und am Ende hob sich alles auf in diesem wie nur hingetupften Bild einer harmlosen Sommerszene.
»Einen Personenschaden?«
Ich sah Herrn Bleichert an, als läge es an ihm, das Wort und mit dem Wort das, was es meinte, wieder aus der Welt zu schaffen, aber er nickte nur versonnen.
»Es ist an der Stelle nicht das erste Mal.«
Dabei schaute er hinüber zum anderen Ufer, wo nicht das Geringste mehr auf etwas Außergewöhnliches hindeutete und wo ein Ortsfremder in dem steilen Abhang zwischen den Bäumen wohl auch kaum den Verlauf einer Bahntrasse vermutet hätte.
»Dort führen die Gleise aus einem Tunnel heraus und nach wenigen Metern in den nächsten hinein«, sagte er. »Es sind nur ein paar Momente Licht zwischen zwei langen Dunkelheiten.«
Dann fing er wieder an mit diesem aufdringlichen Sich-Umsehen, bis er seinen Blick auf den Resten des Mittagessens ruhen ließ, die rund um die Feuerstelle verstreut lagen. Wir hatten uns Ravioli warm gemacht und sie mit Plastiklöffeln direkt aus den Dosen gegessen, und ich wurde den Eindruck nicht los, er starre angewidert darauf. Neben der geleerten Weinflasche und den zerknautschten Pappbechern fanden sich die Bücher, in denen Daniel und Christoph gelesen hatten, und er beugte sich vor, nahm das eine in die Hand und legte es kopfschüttelnd wieder zurück.
»Sherwood Anderson?«
Er zögerte kurz und griff dann nach dem anderen.
»Thomas Wolfe?«
Er räusperte sich und schluckte schwer an seinem Speichel.
»Die Namen sind mir kein Begriff«, sagte er. »Natürlich aus Amerika, woher sonst? Sicher interessant. Das gibst du ihnen also zu lesen?«
Ich antwortete nicht, aber es hing ohne Zweifel auch damit zusammen, mit der Ungehörigkeit und Dreistigkeit seines Auftretens an diesem Tag, dass wir seither kaum je mehr als ein paar Worte gewechselt hatten und dass mir unser Gespräch im Konferenzzimmer jetzt wie eine Fortsetzung vorkam. Die Episode draußen am Fluss hatte ich nicht so symbolbeladen wahrgenommen, wie sie sich im nachhinein darbot, aber ich hätte schwören können, dass er selbst an sie dachte und absichtlich darauf anspielte. Jedenfalls konnte ich mir nichts vormachen, es war gegen mich gerichtet, als er nicht aufhörte zu wiederholen, was für ein guter Junge Daniel gewesen sei und was für Möglichkeiten er gehabt hätte, wenn er zum richtigen Zeitpunkt in die richtigen Bahnen gelenkt worden wäre.
»Der Alte ist überzeugt, dass du ihn auf falsche Gedanken gebracht hast«, sagte er. »Es ist ihm nicht auszureden, dass es deine Bücher gewesen sind, die ihm den Kopf verdreht haben.«
Ich hätte erwidern können, dass Daniel den ganzen Unsinn mit der Wüste nicht von mir gehabt habe, aber ich war es müde, mich zu wehren, und ließ ihn reden.
»Er hat ihn schon nach seinem Artikel über Israel von der Schule verweisen wollen. Damals hat er nur nicht genug Handhabe gegen ihn gehabt. Sonst hätte er ohne Zweifel nicht lange gezögert.«
»Statt dessen hat er ihn eine Weile unter Beobachtung gestellt und dann so getan, als gäbe es ihn nicht«, sagte ich. »Die Frage ist nur, warum er jetzt wieder in den alten Geschichten herumkramt.«
Ich hatte mich nicht ärgern wollen und ärgerte mich doch.
»Vielleicht überschätzt er den Einfluss, den wir haben. Welche Möglichkeiten bleiben uns schon? Wir können bei den Schülern, was da ist, vielleicht ein bisschen verstärken oder abschwächen, mehr aber nicht.«
Ich sah, dass Herr Bleichert vehement den Kopf
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