Eine Ahnung vom Anfang
Zaun in einer Seitengasse fast direkt an der zu jeder Tageszeit überlaufenen Istiklal-Straße liegt, und es fiel mir lange gar nicht auf, dass ich auch da diese Abbitte ins Leere leistete, die keinem etwas brachte außer mir selbst. Ich blieb immer ein paar Augenblicke stehen, berührt, unberührt, und das war es schon, bevor ich meinen Bummel fortsetzte oder in einem meiner wie eigens für diese Ausflüge geschneiderten Anzüge ins Pera Palas zum Tee ging oder mich im Büyük Londra auf die Dachterrasse setzte und die Stunden hingehen ließ, ohne noch einmal an das zu denken, was mich gerade so sehr bewegt hatte.
Ich habe schon gesagt, dass nicht ich es war, der Die Gerechten für die Theatergruppe vorgeschlagen hat, sondern Daniel. Er begeisterte sich für Camus, wie sich davor schon Robert für ihn begeistert hatte, und glaubte außerdem, mir mit der Wahl einen Gefallen zu tun. In Wahrheit mochte ich das Stück nicht, hielt aber daran fest, obwohl ich nach den ersten Proben sah, dass seine hochtrabende Thesenhaftigkeit mit Schauspielern im Schüleralter nur noch deutlicher zutage treten würde. Der Hauptgrund für mein Beharren war, dass ich nicht dem Druck des Elternvereins nachgeben wollte. Der Vorwurf seiner aufgebrachten Vertreter lautete auf kommunistische Umtriebe und Aufruf zur Gewalt, und das war so lächerlich, dass es mir zur Herzenssache wurde. Wir probten in der Turnhalle, aber ein aufgeklebter Schnurrbart und ein grimmiger Blick machten Daniel und Christoph noch lange zu keinen glaubwürdigen Terroristen im zaristischen Russland, die ein Attentat auf den Großfürsten planten, eine Perücke und viel Schminke Judith nicht zu ihrer Gefährtin, die am Ende selbst darauf brannte, eine Bombe zu werfen. Sie hatten Sätze zu sagen, die zu groß für sie waren, ein einziges Wahrheits- und Wahrhaftigkeitsgetöse über Freiheit und Gerechtigkeit, und erst wenn ich sie später am Abend nach Hause brachte, rückten sie die Verhältnisse ein wenig zurecht. Dann nannten sie sich gegenseitig Aufschneider und Hochstapler und warfen sich die Zitate an den Kopf, als hätten sie selbst sie zu verantworten und hätten sie nicht in ihrer jeweiligen Rolle gesagt. Judith saß vorn, Daniel und Christoph hinten, und ich fuhr meistens einen Umweg, um die Zeit auszudehnen, und lieferte zuerst die zwei Jungen und dann das Mädchen zu Hause ab. Sie war im Jahr davor sitzengeblieben und so in ihre Klasse gekommen, und sie hatten noch kaum ein paar Worte miteinander gewechselt, als sie sich schon gegenseitig die hehrsten Ideale vormachen mussten. Dabei konnte ich von der ersten Stunde an zuschauen, wie die beiden Jungen sich in Judith verliebten und wie umgekehrt sie immer spöttischer wurde, immer spröder, weil sie gnadenlos wahrnahm, wie wenig sie in die Figuren hineinwuchsen, die sie hätten ausfüllen sollen. Das führte manchmal dazu, dass sie aus dem Text heraustrat und, wenn einer der Jungen etwas besonders Pathetisches gesagt hatte und dem Pathos erlegen war, plötzlich trocken erwiderte, es sei ja schön und gut, was er da zum besten gebe, aber er solle sich nicht aufplustern und ein bisschen weniger Theater, ein bisschen weniger Lärm um nichts machen. Mit erhobenem Daumen konnte sie dann den ausgestreckten Zeigefinger auf ihn richten und »peng!« sagen, es reiche jetzt, er sei tot, und wenn er ihr nicht glaube, hier gleich noch einmal, »peng! peng! peng!«, oder sie setzte sich mitten im Satz auf den Boden und gab schweigend zu verstehen, dass sie keine Lust mehr hatte.
Der Direktor musste auf jeden Fall noch wissen, wie sehr er mich damals gegen den Elternverein verteidigt hatte. Er bat mich, einen Brief aufzusetzen, und überflog ihn nur, bevor er ihn eigenhändig unterschrieb, und dann war ich wieder bei ihm zum Essen eingeladen, und er forderte mich auf, ihm zu erklären, worum es bei dem Stück eigentlich gehe. Er hörte es sich an und meinte zwischendurch immer wieder, er könne nicht sehen, wo das Problem sei, während er mit dem Daumennagel zuerst die Fingernägel seiner linken und dann die seiner rechten Hand reinigte. Zwar reagierte er irritiert, als seine Frau sagte, ich solle mich bloß nicht ins Bockshorn jagen lassen, die Jugend müsse revolutionär denken, aber danach fiel er ihr unwillig ins Wort und empfahl mir ausdrücklich, nichts auf die Proteste zu geben und mit allem ganz nach meinem Gutdünken zu verfahren.
Ich stand noch vor seinem Büro, als ich mich daran erinnerte, und wollte mir nicht
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