Eine andere Art von Ewigkeit: Lilith-Saga: 2 (German Edition)
Familienbande.“ Sina stieß ein schrilles Lachen aus, riss mir fester an den Haaren und zog den Strick gnadenlos an.
Wieder röchelte ich.
„Und dein Johannes, dein geliebter Johannes….Du weißt, wo er sich momentan aufhält, nicht? Er ist im Begriff, die Forschungsanlage seines Bruders zu besichtigen. Aber weißt du auch, was dort auf ihn wartet? Nein? … Nun, ich verrate es dir. Ihn erwartet etwas Einzigartiges! Eine ganz besondere Feier! Sein eigener Bruder wird ihn in die Luft jagen. Ihn und seinen Vater. Mit einer wahrhaft gigantischen Explosion, die die ganze Forschungsanlage einäschern wird.“
Sina sah mich an. „Was sagst du dazu, hm?“ Unmerklich lockerte sie den Druck des Stricks.
„Warum?“ war alles, was ich herausbrachte.
„Warum, fragst du? Du weißt es nicht? Komm schon, stell dich nicht so an. Es gibt keinen Grund mehr, deine Vergangenheit zu verleugnen. Deine Vergangenheit und die von Samael.“
Ich schloss meine Augen. Ich versuchte, mich zu erinnern, doch in mir war nur grauer Nebel. Grauer Nebel und dann, plötzlich, einzelne Töne – der Klang einer… einer Melodie, ähnlich einer Spieluhr. Zwei kleine Bilder, nicht viel größer als Briefmarken, verschwommen und… nur noch der Nebel – grau, undurchdringlich.
Sinas Ohrfeige brachte mich zurück.
„Du hast Samael alles genommen, was je von Bedeutung war. Du hast gedacht, du triumphierst und kommst damit davon, als du dich im Körper des sterbenden Mädchens versteckt und deine Erinnerungen tief in dir verborgen hast. Aber glaube mir, du Miststück. Mit der Zeit – und die Zeit wird dir sehr lange werden, während du unter dem Eis deiner Existenz hinterher trauerst - wirst du dich erinnern.“
Ich war halt- und kraftlos, zu keiner Bewegung fähig.
„Während dich der Fluss unter dem Eis immer weiter durch die endlose Nacht zieht, wird Samael die Macht ergreifen und die Welt der Menschen, wie du sie kanntest, wird in unsäglichen Schmerzen untergehen. Und dann wird nichts mehr sein, wie es war. Die Hölle wird durchbrechen. Samael wird wieder herrschen.“
Ohne Vorwarnung riss sie den Strick von meinem Hals weg, packte mich an den Handgelenken und zerrte mich mit sich fort, den Abhang hinunter, dem Fluss entgegen. Ich rutschte seitlich die Böschung entlang und überschlug mich fast.
Sina ließ mich achtlos liegen. Sie ging hinaus auf den gefrorenen Fluss. Dort, in dessen Mitte, wo sein Eis dünner war, stampfte sie ein paar Mal auf, bis sich Risse zeigten und schließlich ein gähnendes Loch entstand.
Ich weiß nicht, woher meine Kraft stammte, aber ich schaffte es mithilfe der steilen Böschung in meinem Rücken, mich aufzurichten. Durch die Fetzen meiner Kleidung spürte ich die lähmende Kälte des Windes. Meine Wunden fühlten sich gefroren an.
Sina sah zu mir herüber und lachte. „Da will wohl jemand kämpfen, oder? Hat dir meine letzte Abreibung noch nicht gereicht?“
Vorsichtig, um nicht einzubrechen, überquerte sie das Eis und kam dann tänzelnd die letzten Meter auf mich zu. Sie kickte mich hoch gegen die Schulter, doch ich parierte mit meinen gebundenen Händen. Der Treffer war nicht sehr heftig gewesen, aber ich stolperte doch zur Seite und fiel aufs Eis.
Voller Panik versuchte ich wegzukriechen.
Sina folgte mir und trat mir unbarmherzig in die Seite. Dabei trieb sie mich immer näher an die Öffnung in der Mitte des Flusses, der mein ewiges Verlies werden sollte.
Als sie mich wieder treten wollte, erwischte ich ihr Bein, hielt es fest und drehte es ruckartig zur Seite. Ich hörte das Eis ächzen, als Sina schwer darauf aufschlug.
Sie trat mit ihrem freien Fuß gegen meinen Oberarm, der augenblicklich taub wurde.
Sina stand auf. Sie belastete das Bein, das ich vorhin umgedreht hatte. Es schien ihr keine Schmerzen zu bereiten.
Ich robbte vor ihr weg, hielt inne und schaffte es, mich mühselig und schwankend aufzurichten.
Keine Sekunde zu früh wandte ich mich Sina zu. Sie rannte mir entgegen, sprang hoch, um mich mit einem mörderischen Fußstoß zu treffen.
Die Zeit hörte auf zu existieren. Ich vernahm Sinas langgezogenen Schrei als sie auf mich zuflog, ein Bein nach vorne ausgestreckt, das andere angewinkelt, die Arme in Abwehrhaltung auf Brustkorbhöhe, die Hände zu Fäusten geballt. Gleichzeitig hörte ich meine Stimme, glasklar, wie sie Johannes während unseres Traumtrainings in der Turnhalle gefragt hatte: „ Gibt es eine Attacke, die man nicht abwehren kann?“
Ich ließ mich
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