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Eine Andere Welt

Eine Andere Welt

Titel: Eine Andere Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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Frauen schienen es zu wissen. Bei einer Frau in Ruths Alter – er schätzte sie auf mittlerweile achtunddreißig oder neununddreißig – würde Sonnenbräune die Haut in runzliges Leder verwandeln.
Außerdem verstand sie sich zu kleiden. Sie stellte ihre ausgezeichnete Figur zur Schau. Wenn die Zeit und das Leben nur barmherziger mit ihrem Gesicht umgesprungen wären ... jedenfalls hae Ruth noch immer schönes schwarzes Haar, alles am Hinterkopf kunstvoll zusammengefaßt. Augenwimpern aus Federplastik, leuchtend purpurne Streifen auf der linken Wange, als ob sie von psychedelischen Tigerkrallen verletzt worden wäre.
Angetan mit einem farbenprächtigen Sari, barfuß – wie gewöhnlich hae sie ihre hochhackigen Schuhe irgendwo abgeschüelt
– und ohne ihre Brille, kam sie ihm verteufelt gutaussehend vor. Ruth Rae, dachte er sinnend. Näht ihre Kleider selbst. Braucht eine starke Brille, die sie niemals trägt, wenn jemand da ist – ich war eine Ausnahme. Ob sie immer noch die Auswahl aus den ›Büchern des Monats‹ liest? Hat sie noch immer eine Vorliebe für diese endlosen, langweiligen Romane über sexuelle Missetaten in unheimlichen kleinen, aber scheinbar normalen Provinzstädten?
Das war eine Eigenheit von Ruth Rae: ihre Sexbesessenheit. Er erinnerte sich, daß sie in einem Jahr mit sechzig Männern geschlafen hae, ihn selbst nicht mitgezählt. Er war eher in ihr Leben eingetreten und wieder daraus verschwunden, als die Zahlen noch nicht so hoch gewesen waren.
Und sie hae immer seine Musik gemocht. Ruth Rae mochte männlich wirkende Männer, Popballaden und süßliche Streichermusik. In ihrer New Yorker Wohnung hae sie sich einmal eine gewaltige Quatrofonie-Anlage einrichten lassen und mehr oder weniger darin gelebt, hae Diät-Sandwiches gegessen und eisgekühlte schleimige Ersatzgetränke in sich hineingegossen. Achtundvierzig Stunden lang hae sie ununterbrochen Plaen einer schmalzigen Popgruppe mit Streicherbegleitung gehört, die er verabscheute.
Weil er ihren allgemeinen Geschmack abstoßend fand, verdroß es ihn nicht wenig, daß er selbst zu ihren Lieblingssängern zählte. Es war eine Anomalie, für die er niemals eine Erklärung hae finden können.
Welche Erinnerungen gab es noch? Jeden Morgen einen Eßlöffel mit einer öligen gelben Flüssigkeit: Vitamin E. So seltsam es scheinen mochte, das Zeug schien in ihrem Fall keine dämpfende Wirkung zu haben: ihre erotische Ausdauer nahm mit jedem Löffelvoll zu.
Und wie er sich erinnerte, haßte sie Tiere. Das ließ ihn an Kathy und ihren Kater Domenico denken. Ruth und Kathy würden nie miteinander harmonieren, sagte er sich. Aber das ist nicht wichtig, denn sie werden einander nie begegnen.
Er verließ seinen Hocker und trug sein Glas durch das Gedränge an der Bar, bis er vor Ruth Rae stand. Er erwartete nicht, daß sie ihn erkannte, aber früher hae sie ihn einmal unwiderstehlich gefunden. Warum sollte das nicht auch jetzt noch gelten? Niemand wußte eine sexuelle Gelegenheit besser einzuschätzen als Ruth.
»Hallo«, sagte er.
Ruth Rae hob den Kopf und musterte ihn unsicher, denn sie hae ihre Brille nicht aufgesetzt. »Hallo«, kratzte sie mit ihrer dem Bourbon verpflichteten Stimme. »Wer bist du?«
»Wir begegneten uns vor ein paar Jahren in New York«, sagte Jason. »Ich arbeitete als Statist in einer Art Revue, und du warst für die Kostüme zuständig, wenn ich mich recht entsinne.«
»Ach, die Episode«, sagte Ruth Rae mit heiserem Auflachen. Sie lächelte ihn an. »Wie heißt du?«
»Jason Taverner«, sagte er.
»Erinnerst du dich an meinen Namen?«
»O ja«, sagte er. »Ruth Rae.«
»Jetzt heiße ich Ruth Gomen«, sagte sie. »Setz dich zu mir.« Sie blickte umher, sah keinen freien Barhocker und sagte nach kurzer Überlegung: »Da drüben ist ein Tisch.« Sie gli überaus vorsichtig von ihrem Hocker und taumelte in die Richtung eines unbesetzten Tischs; er nahm ihren Arm und führte sie. Kurz darauf, nach einigen Augenblicken schwieriger Navigation, saßen sie nebeneinander am Tisch.
»Du siehst genauso schön aus wie ...«, begann er, aber sie schni ihm brüsk das Wort ab.
»Ich bin alt«, kratzte sie. »Ich bin neununddreißig.«
»Das ist nicht alt«, sagte Jason. »Ich bin zweiundvierzig.«
»Für einen Mann ist das in Ordnung. Nicht für eine Frau.«
Mit trübem Blick starrte sie in ihren Martini. »Weißt du, was Bob macht? Bob Gomen? Er züchtet Hunde. Große, laute Hunde mit langem Haar. Sogar im Kühlschrank sind diese Haare.«

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