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Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Titel: Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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gähnte.
    »Nein«, sagte er. »Der Tod bleibt nie stehen. Er schaltet nur manchmal seine Lichter aus, das ist alles.«
    Wir trafen am 13. Juni im Nordosten Mexikos ein. Zwei alte Indianerinnen, die sich sehr ähnlich sahen und anscheinend Schwestern waren, und vier Mädchen standen an der Tür eines kleinen Lehmziegelhauses beieinander. Hinter dem Haus standen eine Hütte und ein verfallener Stall, von dem nur noch ein Teil des Daches und eine  Wand übrig war. Die Frauen schienen uns zu erwarten. Sie müßten mein Auto an der Staubwolke bemerkt haben, die es auf der Sandstraße aufwirbelte, nachdem ich vor ein paar Meilen den befestigten Highway verlassen hatte. Das Haus lag in einem tiefen Tal, und von der Tür aus glich der Highway einer langen Schramme, die am Hang der grünen Hügel verlief.
    Don Juan stieg aus dem Auto und unterhielt sich kurz mit den alten Frauen. Sie deuteten auf ein paar Holzschemel vor der Tür. Don Juan gab mir ein Zeichen, ich solle herüberkommen und mich setzen. Eine der alten Frauen setzte sich zu uns. Die übrigen gingen in das Haus. Zwei der Mädchen blieben neben der Tür stehen und schauten mich neugierig an. Ich winkte ihnen zu. Sie kicherten und liefen hinein. Nach einigen Minuten kamen zwei junge Männer herüber und begrüßten Don Juan. Sie sprachen nicht mit mir und sahen mich nicht einmal an. Sie wechselten ein paar Worte mit Don Juan, und dann stand er auf, und wir alle, auch die Frauen, gingen zu einem anderen Haus hinüber, vielleicht eine halbe Meile entfernt. Dort trafen wir eine weitere Gruppe von Leuten. Don Juan ging hinein, hieß mich aber an der Tür stehenbleiben. Ich schaute ins Haus und sah einen alten Indianer, etwa in Don Juans Alter, auf einem Holzschemel sitzen.
    Es war noch nicht völlig finster. Eine Gruppe junger Indianer und Indianerinnen stand schweigend um einen alten Lastwagen herum, der vor dem Haus parkte. Ich sprach sie auf spanisch an, aber sie vermieden es absichtlich, mir zu antworten; die Frauen kicherten jedesmal, wenn ich etwas sagte, und die Männer lächelten höflich und wandten den Blick ab. Es war, als verstünden sie mich nicht, dennoch war ich sicher, daß sie alle spanisch sprachen, denn ich hatte gehört, wie sie sich in dieser Sprache unterhielten.
    Nach einiger Zeit kamen Don Juan und der andere alte Mann heraus, sie stiegen in den Lastwagen und setzten sich neben den Fahrer. Das war anscheinend das Signal für jedermann, auf die Pritsche des Lastwagens zu klettern. Es gab kein Geländer, und als der Lastwagen anfuhr, klammerten wir uns alle an ein Seil, das mit ein paar Haken am Chassis befestigt war.
    Der Lastwagen fuhr langsam die Sandstraße entlang. Irgendwo, an einer sehr steilen Steigung, hielt er an, und alle sprangen ab und gingen hinter ihm her. Dann stiegen zwei junge Männer wieder auf die Ladefläche und balancierten auf der Kante, ohne sich am Seil festzuhalten. Die Frauen lachten und ermunterten sie, diese waghalsige Stellung beizubehalten. Don Juan und der andere alte Mann, der Don Silvio hieß, gingen nebeneinander und schienen sich nicht um das Schauspiel der jungen Männer zu kümmern. Als die Straße flacher wurde, stiegen alle wieder auf den Lastwagen. Wir fuhren etwa eine Stunde lang. Die Ladefläche war sehr hart und unbequem, darum stand ich auf und hielt mich am Kabinendach fest, und in dieser Haltung fuhr ich, bis wir vor einigen Baracken anhielten. Dort waren wieder Leute; es war jetzt schon sehr dunkel, und ich konnte im düsteren, gelblichen Licht einer Kerosinlampe, die neben der offenen Tür hing, nur einige von ihnen erkennen. Alle stiegen vom Lastwagen und mischten sich unter die Leute in den Häusern. Don Juan bedeutete mir, draußen zu bleiben. Ich lehnte mich gegen den vorderen Kotflügel des Lastwagens, und einige Minuten später gesellten sich drei junge Männer zu mir. Den einen hatte ich schon vor vier Jahren bei einem früheren mitote getroffen. Er begrüßte mich herzlich und nahm mich beim Arm. »Du bist in Ordnung«, flüsterte er mir auf spanisch zu. Wir blieben schweigend neben dem Lastwagen stehen. Es war eine warme, windige Nacht. Ich hörte das leise Raunen eines Flusses in der Nähe. Mein Freund flüsterte mir zu, ob ich Zigaretten hätte. Ich reichte eine Schachtel herum. Im Schein der glimmenden Zigaretten sah ich auf die Uhr. Es war neun.
    Bald darauf trat eine Menschengruppe aus dem Haus, und die drei jungen Männer gingen davon. Don Juan kam zu mir rüber und sagte, er habe

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