Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan
Torheit.«
An diesem Punkt gab ich mir große Mühe, Don Juan zu erklären, daß ich mich sehr dafür interessierte zu erfahren, was einen Wissenden motivierte, in einer bestimmten Form zu handeln, obwohl er wußte, daß nichts von Bedeutung ist. Er schmunzelte, bevor er antwortete.
»Du denkst über deine Handlungen nach, darum mußt du glauben, deine Handlungen seien so wichtig, wie sie dir vorkommen, während in Wirklichkeit nichts, was du tust, von Bedeutung ist. Nichts! Aber wenn nun nichts wirklich von Bedeutung ist, fragst du, wie kann ich dann weiterleben? Es wäre doch einfacher, zu sterben. Das ist, was du sagst und glaubst, weil du über das Leben nachdenkst, genau wie du jetzt darüber nachdenkst, wie es ist, wenn man sieht. Du möchtest, daß ich es dir beschreibe, damit du anfangen kannst, darüber nachzudenken, so wie du es mit allen anderen Dingen tust. Aber Sehen hat mit Denken gar nichts zu tun, darum kann ich dir nicht sagen, wie es ist, wenn man sieht. Jetzt möchtest du von mir die Gründe für meine kontrollierte Torheit wissen, und ich kann dir nur sagen, daß die kontrollierte Torheit ziemlich ähnlich wie das Sehen ist; es ist etwas, worüber du nicht nachdenken kannst.«
Er gähnte. Er lag auf dem Rücken und reckte Arme und Beine. Seine Knochen knackten.
»Du bist zu lange fortgewesen«, sagte er. »Du denkst zuviel nach.« Er stand auf und ging ins dichte Gebüsch neben dem Haus. Ich schürte das Feuer, um den Topf am Kochen zu halten. Ich wollte eine Kerosinlampe anzünden, aber das Halbdunkel war sehr anheimelnd. Auch tauchte das Feuer im Ofen, das genügend Licht zum Schreiben gab, alles um mich her in einen rötlichen Glanz. Ich legte meine Notizen auf den Boden und streckte mich aus. Von der ganzen Unterhaltung mit Don Juan schmerzte mich nur die Tatsache, daß ich ihm völlig egal war; dieser Gedanke quälte mich. Seit Jahren hatte ich ihm mein volles Vertrauen geschenkt. Hätte ich ihm nicht völlig vertraut, dann hätte mich allein der Gedanke, sein Wissen zu erlernen, vor Angst gelähmt; mein Vertrauen stützte sich auf die Annahme, daß er eine persönliche Anteilnahme für mich aufbrachte; ich hatte mich immer vor ihm gefürchtet, aber ich wurde meiner Angst Herr, weil ich ihm vertraute. Wenn er mir diese Basis entzog, dann gab es nichts mehr, worauf ich mich verlassen konnte, und ich war hilflos. Eine sehr merkwürdige Angst befiel mich. Ich war äußerst erregt und ging vor dem Ofen auf und ab. Don Juan blieb lange fort. Ich wartete ungeduldig auf ihn. Schließlich kehrte er zurück. Er setzte sich vor das Feuer, und ich platzte mit meinen Ängsten heraus.
Ich sagte, daß ich mir Sorgen machte, weil ich nicht auf halbem Weg umkehren konnte; ich erklärte ihm, daß ich aufgrund des Vertrauens, das ich zu ihm hatte, auch seine Lebensweise zu respektieren und sie als wesentlich rationaler, oder zumindest funktionaler als die meine anzusehen gelernt hatte. Ich sagte, seine Worte hätten mich in einen furchtbaren Konflikt gestürzt, weil sie mich zwängen, meine Gefühle zu ändern.
«Um dies zu veranschaulichen, erzählte ich Don Juan die Geschichte eines alten Mannes aus meinem Kulturkreis, eines sehr reichen, konservativen Rechtsanwalts, der sein Leben lang geglaubt hatte, für die Wahrheit zu streiten. In den frühen dreißiger Jahren, als der New Deal sich anbahnte, war er mit aller Leidenschaft in das politische Drama jener Zeit verstrickt. Er hielt unbeirrt an der Meinung fest, daß der Umschwung das Land ins Verderben stürzen würde, und weil er seiner Lebensform treu bleiben wollte und von der Richtigkeil seines Standpunkts überzeugt war, schwor er sich, zu bekämpfen, was in seinen Augen ein politisches Übel war. Aber der Trend der Zeit war stärker als er und überrollte ihn. Zehn Jahre lang kämpfte er in der politischen Arena und in seinem persönlichen Lebensbereich dagegen an. Dann bereitete der Zweite Weltkrieg seinen Bemühungen eine endgültige Niederlage. Sein politischer und ideologischer Sturz führte zu einer tiefen Verbitterung. Für die nächsten fünfundzwanzig Jahre zog er sich in sich selbst zurück. Als ich ihm begegnete, war er vierundachtzig und kehrte gerade in seine Heimatstadt zurück, um dort seine letzten Jahre in einem Altersheim zu verbringen. Es schien mir unvorstellbar, daß er sein langes Lehen damit verbracht haben sollte, darüber nachzudenken, wie er seine Jahre in Bitterkeit und Selbstmitleid vergeudet hatte. Irgendwie fand er
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