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Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Titel: Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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darauf vertrauen, daß du weitersuchen wirst, genau wie ich es getan habe. Ich muß zugeben, daß du schwerfälliger und eigensinniger bist als ich. Aber du hast andere Ansichten, und die Richtung, die dein Leben nehmen wird, ist etwas, das ich nicht vorhersehen kann.« Der besonnene Ton seiner Stimme und irgend etwas in seiner Haltung riefen ein altbekanntes Gefühl in mir hervor, eine Mischung aus Furcht, Einsamkeit und Erwartung. »Bald werden wir wissen, woran du bist«, sagte er geheimnisvoll. Er sagte nichts mehr. Nach einiger Zeit ging er aus dem Haus. Ich folgte ihm und stand vor ihm, unschlüssig, ob ich mich setzen sollte oder ein paar Pakete, die ich ihm mitgebracht hatte, aus dem Wagen holen sollte. »Wird es gefährlich sein?« fragte ich, nur um etwas zu sagen. «Alles ist gefährlich«, sagte er.
    Don Juan schien nicht gewillt, mir mehr zu sagen; er nahm einige kleine Bündel, die in einer Ecke aufgeschichtet lagen, und tat sie in ein Tragnetz. Ich bot ihm nicht an, ihm zu helfen, denn ich wußte, daß er, wenn er meine Hilfe wünschte, mich darum bitten würde. Dann legte er sich auf seine Strohmatte. Er sagte mir, ich solle mich entspannen und ausruhen. Ich legte mich auf meine Matte und versuchte zu schlafen, aber ich war nicht müde. Am Abend zuvor war ich in einem Motel abgestiegen, da ich wußte, daß es nur noch eine Fahrt von drei Stunden bis zu Don Juan war. Auch er schlief nicht. Seine Augen waren zwar geschlossen, aber ich stellte fest, daß sein Kopf sich fast unmerklich rhythmisch bewegte. Mir kam der Gedanke, daß er vielleicht lautlos in sich hinein sang. »Wir wollen etwas essen«, sagte Don Juan plötzlich, und seine Stimme ließ mich aufmerken. »Du wirst deine ganze Energie brauchen. Du solltest in guter Verfassung sein.«
    Er kochte eine Suppe, aber ich war nicht hungrig.
    Am nächsten Tag, am 9. November, ließ Don Juan mich nur eine Kleinigkeit essen und befahl mir, mich auszuruhen. Ich lag den ganzen Morgen herum, aber ich konnte mich nicht entspannen. Ich hatte keine Ahnung, was Don Juan vorhatte, aber noch schlimmer war, daß ich mir nicht einmal sicher war, was ich selbst vorhatte. Gegen drei Uhr nachmittag saßen wir unter seiner ramada. Ich war sehr hungrig. Ich hatte ein paarmal vorgeschlagen, wir sollten etwas essen, aber er hatte es abgelehnt. »Du hast jetzt drei Jahre lang deine Mixtur nicht zubereitet«, sagte er plötzlich. »Du wirst meine Mixtur rauchen müssen, also halten wir es so, als hätte ich sie für dich gesammelt. Du wirst nur eine Kleinigkeit brauchen. Ich werde die Pfeife einmal füllen. Du wirst sie ganz aufrauchen und dann ruhen. Dann wird der Wächter der anderen Welt kommen. Du brauchst nichts zu tun, als ihn beobachten. Beobachte, wie er sich bewegt. Beobachte alles, was er tut. Dein Leben könnte davon abhängen, wie gut du beobachtest.« Don Juan hatte seine Anweisungen so unvermittelt erteilt, daß ich nicht wußte, was ich sagen, nicht einmal, was ich denken sollte. Einen Moment murmelte ich unzusammenhängendes Zeug. Ich konnte meine Gedanken nicht ordnen. Schließlich stellte ich die erste klare Frage, die mir in den Sinn kam. »Wer ist dieser Wächter?«
    Don Juan weigerte sich einfach, sich auf ein Gespräch einzulassen. Aber ich war zu nervös, um aufs Reden zu verzichten, und beharrte verzweifelt darauf, daß er mir etwas über den Wächter sagte.
    »Du wirst ihn sehen«, sagte er ruhig. »Er ist der Wächter der anderen Welt.«
»Welcher Welt? Der Welt der Toten?«
    »Es ist nicht die Welt der Toten oder die Welt von irgend etwas. Es ist einfach eine  andere Welt. Es hat keinen Sinn, dir davon zu erzählen. Sieh es selbst.«
    Damit ging Don Juan ins Haus. Ich folgte ihm in sein Zimmer.
    »Warte, Don Juan, warte. Was hast du vor?« Er antwortete nicht. Er nahm seine  Pfeife, setzte sich auf die Strohmatte in der Mitte seines Zimmers und sah mich fragend an. Er schien auf meine Zustimmung zu warten. »Du bist ein Narr«, sagte er sanft. »Du hast keine Angst. Du behauptest nur, Angst zu haben.«
    Er schüttelte bedächtig den Kopf. Dann nahm er den kleinen Sack mit der  Rauchmixtur und füllte die Pfeife. »Ich fürchte mich, Don Juan. Wirklich, ich fürchte mich.«
»Nein, es ist nicht Furcht.«
    Verzweifelt versuchte ich, Zeit zu gewinnen und fing eine lange Diskussion über Art und Beschaffenheit meines Gefühls an. Ich behauptete aufrichtig, Angst zu haben, aber er wies darauf hin, daß mein Atem nicht schneller ginge und daß

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