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Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Titel: Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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kann auch ich hören, und so sprechen wir über das, was wir hören, aber nicht darüber, wie wir hören. Ein Zauberer benutzt seinen Willen, um die Welt zu erkennen. Dieses Erkennen ist jedoch nicht wie Hören. Wenn wir die Welt anschauen und wenn wir sie hören, dann haben wir den Eindruck, daß sie da draußen ist und daß sie real ist. Wenn wir die Welt mit unserem Willen erkennen, dann wissen wir, daß sie gar nicht so sehr >da draußen< oder >real< ist, wie wir glauben.«
    »Ist der Wille dasselbe wie das Sehen?«
»Nein. Der Wille ist eine Kraft, eine Macht. Sehen ist nicht eine Kraft, sondern eher eine Art, die Dinge zu durchdringen. Ein Zauberer mag einen sehr starken Willen haben und daher vielleicht doch nicht sehen können; woraus sich ergibt, daß nur ein Wissender die Welt mit seinen Sinnen und mit seinem Willen und auch durch sein Sehen erkennt.« Ich sagte ihm, daß ich nun noch weniger als vorher wüßte, wie ich meinen Willen benutzen sollte, um den  Wächter zu vergessen. Diese Feststellung und meine Bestürzung schienen ihn zu belustigen.
    »Ich habe dir doch gesagt, daß du dich nur verwirrst, wenn du redest«, sagte er und lachte. »Aber wenigstens weißt du jetzt, daß du auf deinen Willen wartest. Du weißt immer noch nicht, was das ist oder wie du ihn entdecken wirst. Darum beobachte sorgfältig alles, was du tust. Das, was dir helfen könnte, deinen Willen zu entwickeln, ist irgendeines der vielen kleinen Dinge, die du normalerweise tust.« Den ganzen Morgen über blieb Don Juan fort; er kehrte am frühen Nachmittag mit einem Büschel trockener Pflanzen zurück. Er gab mir mit einer Kopfbewegung zu verstehen, daß ich ihm helfen sollte, und wir beschäftigten uns stundenlang in völligem Schweigen damit, die Pflanzen zu sortieren. Als wir fertig waren, setzten wir uns hin um auszuruhen, und er lächelte mir wohlwollend zu.
    Ich setzte ihm ernsthaft auseinander, daß ich, nachdem ich meine Notizen durchgesehen hatte, immer noch nicht verstand, was es bedeutete, ein Krieger zu sein, und was der Begriff des Willens beinhaltete. »Wille ist kein Begriff«, sagte er.
    Dies war das erstemal, daß er an diesem Tag mit mir sprach. Nach einer langen Pause fuhr er fort: »Wir sind verschieden, du und ich. Wir haben nicht den gleichen Charakter. Dein Wesen ist gewalttätiger als meines. Als ich in deinem Alter war, war ich nicht gewalttätig, sondern bösartig. Bei dir ist es umgekehrt. Mein Wohltäter war so wie du. Er hätte sehr gut dein Lehrer sein können. Er war ein großer Zauberer, aber er konnte nicht sehen. Nicht so wie ich sehe oder wie Genaro sieht. Mein Sehen l aßt mich die Welt verstehen und führt mein Leben. Mein Wohltäter dagegen mußte leben wie ein Krieger. Wenn ein Mann sieht, dann braucht er nicht wie ein Krieger oder sonstwie zu leben, dann kann er die Dinge sehen, wie sie wirklich sind, und kann sein Leben darauf einrichten. Aber angesichts deines Charakters möchte ich sagen, daß du vielleicht nie lernen wirst zu sehen, und in diesem Fall wirst du dein ganzes Leben wie ein Krieger leben müssen. Mein Wohltäter sagte, ein Mensch, der sich auf den Weg der Zauberei begibt, erkennt nach und nach, daß das normale Leben für immer hinter ihm liegt, daß das Wissen tatsächlich eine beängstigende Sache ist, daß er sich nicht mehr durch die Mittel der normalen Welt schützen kann und daß er eine neue Art zu leben lernen muß, wenn er überleben will. Das erste, was er an diesem Punkt tun sollte, ist zu versuchen, ein Krieger zu werden, und dies ist eine sehr wichtige Entscheidung. Die beängstigende Eigenart des Wissens läßt ihm keine andere Möglichkeit, als ein Krieger zu werden.
    Aber sobald das Wissen zu einer furchterregenden Angelegenheit wird, erkennt der Mensch gleichzeitig, daß der Tod als unersetzlicher Partner neben ihm auf der Matte sitzt. Jedem Stück Wissen, das Macht wird, wohnt der Tod als zentrale Kraft inne. Der Tod gibt die letzte Prägung, und was vom Tod geprägt wird, verwandelt sich in wirkliche Macht. Ein Mann, der dem Weg der Zauberei folgt, ist bei jedem Schritt mit seiner drohenden Vernichtung konfrontiert, und so wird er sich unausweichlich seines Todes deutlich bewußt. Ohne das Bewußtsein des Todes wäre er nur ein normaler Mensch, der sich mit normalen Taten abgibt. Es würde ihm die notwendige Potenz, die notwendige Konzentration fehlen, die unsere alltägliche Zeit auf Erden in magische Macht verwandelt. Darum muß ein Mann, um ein Krieger

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