Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan
nicht.«
Er schien ungehalten zu werden und machte mit den Lippen ein schmatzendes Geräusch. Ich sagte ihm, daß es nicht meine Absicht sei, ihn zu verärgern, wenn er mich nicht bei sich haben wollte, sei ich durchaus bereit, nach Los Angeles zurückzufahren. Don Juan klopfte mir freundlich auf den Rücken und sagte, daß er niemals böse auf mich sei. Er hätte nur angenommen, ich wisse, was es bedeutete, ein Krieger zu sein.
»Was kann ich tun, um wie ein Krieger zu leben?« fragte ich.
Er nahm den Hut ab und kratzte sich die Schläfen. Er sah mir in die Augen und lächelte.
»Du willst alles vorbuchstabiert haben, nicht wahr?«
»Auf diese Art funktioniert mein Verstand.«
»Das muß er aber nicht.«
»Ich weiß nicht, wie ich es ändern soll. Darum bitte ich dich ja, mir genau zu sagen, was ich tun soll, um wie ein Krieger zu leben. Wenn ich es wüßte, könnte ich einen Weg finden und mich danach richten.«
Er fand meine Bemerkungen offenbar komisch, denn er schlug mir auf den Rücken und lachte.
Ich hatte das Gefühl, daß er mich jeden Moment bitten würde, wegzufahren, darum setzte ich mich schnell vor ihn auf meine Strohmatte und stellte ihm weitere Fragen. Ich wollte wissen, warum ich warten mußte.
Er erklärte mir, wenn ich Hals über Kopf zu sehen versuchte, ehe die Wunden, die ich im Kampf mit dem Wächter erhalten hatte, ausgeheilt wären, so bestünde die Möglichkeit, dem Wächter wieder zu begegnen, auch ohne nach ihm zu suchen. Don Juan versicherte mir, daß kein Mensch in einer derartigen Situation eine solche Begegnung überleben konnte. »Du mußt den Wächter vollkommen vergessen, bevor du dich wieder auf die Suche nach dem Sehen begeben kannst«, sagte er. »Wie könnte jemand den Wächter vergessen?«
»Ein Krieger muß seinen Willen und seine Geduld einsetzen, um zu vergessen. Ein Krieger hat nur seinen Willen und seine Geduld, und aus diesen beiden baut er alles auf, was er braucht.«
»Aber ich bin kein Krieger.«
»Du hast angefangen, die Wege der Zauberer zu lernen. Die Zeit für Rückzug und Reue ist vorbei. Du hast nur Zeit, wie ein Krieger zu leben und dich um Geduld und Willen zu bemühen, ob du es willst oder nicht.«
»Wie bemüht sich ein Krieger darum?« Don Juan dachte lange nach, ehe er antwortete. »Ich glaube, es ist nicht möglich, darüber zu sprechen«, sagte er schließlich. »Besonders nicht über den Willen. Der Wille ist etwas ganz Besonderes. Er kommt auf geheimnisvolle Weise. Es ist wirklich unmöglich zu beschreiben, wie man ihn einsetzt, ich kann nur so viel sagen, daß die Ergebnisse, wenn man sich des Willens bedient, sehr erstaunlich sind. Als erstes sollte man vielleicht wissen, daß man den Willen entwickeln kann. Ein Krieger weiß das und ist darum bereit, darauf zu warten. Dein Fehler ist, daß du nicht weißt, daß du auf deinen Willen wartest.
Mein Wohltäter sagte mir, daß ein Krieger weiß, daß er wartet, und weiß, worauf er wartet. In deinem Fall weißt du, daß du wartest. Du bist jetzt schon Jahre bei mir, aber du weißt nicht, worauf du wartest. Für einen Durchschnittsmenschen ist es sehr schwierig, wenn nicht unmöglich, zu wissen, worauf er wartet. Ein Krieger hingegen hat keine Schwierigkeiten. Er weiß, daß er auf seinen Willen wartet.«
»Was genau ist der Wille? Ist er Entschlossenheit, wie zum Beispiel der Entschluß deines Enkels Lucio, ein Motorrad zu besitzen?«
»Nein«, sagte Don Juan leise und schmunzelte. »Das ist nicht der Wille. Lucio läßt sich nur gehen. Der Wille ist etwas anderes, etwas sehr Klares und Mächtiges, das unsere Handlungen leiten kann. Der Wille ist etwas, das ein Mann zum Beispiel einsetzt, um eine Schlacht zu gewinnen, die er nach allen Berechnungen verlieren mußte.«
»Dann muß Wille das sein, was wir Mut nennen«, sagte ich. »Nein, Mut ist etwas anderes. Mutige Männer sind zuverlässige, edle Männer, ständig umgeben von Leuten, die sie bewundern. Aber nur wenige mutige Männer haben den Willen. Für gewöhnlich sind sie furchtlose Männer, denen es gegeben ist, tapfere Taten zu vollbringen, die im Bereich der menschlichen Vernunft liegen; meistens ist ein mutiger Mann auch furchtbar und wird gefürchtet. Wille dagegen hat mit erstaunlichen Taten zu tun, die unserer menschlichen Vernunft trotzen.«
»Ist der Wille die Kontrolle, die wir über uns selbst haben können?« fragte ich. »Man könnte sagen, daß er eine Art Kontrolle ist.«
»Glaubst du, ich kann meinen Willen üben, indem
Weitere Kostenlose Bücher