Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan
angenehme Schläfrigkeit. Nachdem ich die ganze Portion aufgeraucht hatte, legte Don Juan die Pfeife weg und half mir beim Aufstehen. Wir hatten einander in der Mitte des Zimmers auf zwei Strohmatten gegenübergesessen. Er sagte, wir würden einen kurzen Spaziergang machen und forderte mich auf zu gehen, wobei er mich freundlich vorwärtsstieß. Ich machte einen Schritt, und meine Beine gaben nach. Ich spürte keinen Schmerz, als meine Knie auf den Boden schlugen. Don Juan griff nach meinem Arm und zog mich wieder auf die Füße. »Du mußt genauso gehen wie damals, als du aufgestanden bist. Du mußt deinen Willen gebrauchen.« Ich schien am Boden zu kleben. Ich versuchte mit dem rechten Fuß einen Schritt und hätte beinahe das Gleichgewicht verloren. Don Juan hielt mich am rechten Ellbogen fest und stieß mich sanft vorwärts, aber meine Beine trugen mich nicht, und ich wäre aufs Gesicht gefallen, hätte Don Juan nicht meinen Arm gepackt und meinen Sturz abgefangen. Er hielt mich am rechten Ellenbogen, so daß ich mich auf ihn stützen konnte. Ich spürte nichts, aber ich war überzeugt, daß mein Kopf auf seiner Schulter lag, denn ich sah das Zimmer aus einer schrägen Perspektive. In dieser Haltung schleppte er mich auf der Veranda umher. Mühsam machten wir zweimal die Runde, und schließlich wurde mein Gewicht so schwer, daß er mich zu Boden gleiten lassen mußte. Ich wußte, daß er mich nicht vom Fleck bewegen konnte. Mir kam es so vor, als wolle sich ein Teil von mir absichtlich bleiern schwer machen. Don Juan gab sich keine Mühe, mich aufzuheben. Er sah mich einen Augenblick an. Ich lag auf dem Rücken und schaute zu ihm auf. Ich versuchte ihm zuzulächeln, und er begann zu lachen. Dann beugte er sich zu mir runter und gab mir einen leichten Schlag auf den Bauch. Ich hatte ein sehr eigenartiges Gefühl. Es war weder schmerzhaft noch angenehm noch sonst etwas. Es war eher wie ein Rütteln. Sofort fing Don Juan an, mich herumzudrehen. Ich spürte nichts. Ich nahm an, daß er mich umdrehte, denn das Bild der Veranda drehte sich vor meinen Augen. Als Don Juan mich in der gewünschten Stellung hatte, trat er zurück.
»Steh auf!« befahl er energisch. »Steh auf, wie du es damals getan hast. Trödel nicht herum. Du weißt, daß du aufstehen kannst. Steh jetzt auf!« Ich strengte mich an, mich daran zu erinnern, was ich damals getan hatte, aber ich konnte nicht klar denken. Es war, als hätten meine Gedanken ihren eigenen Willen, gleichgültig, wie sehr ich mich anstrengte, sie zu beherrschen. Schließlich kam mir die Idee, daß ich sicherlich aufstehen konnte, wenn ich »Auf!« sagte, wie ich es damals getan hatte. Ich sagte laut und deutlich »Auf!«, aber nichts geschah.
Don Juan sah mich mit offenkundigem Mißfallen an, und dann ging er an mir vorbei zur Tür. Ich lag auf der linken Seite und konnte den ganzen Platz vor seinem Haus überblicken. Ich lag mit dem Rücken zur Tür, und als er an mir vorbeiging, nahm ich an, daß er hineingegangen war. »Don Juan!« rief ich laut, aber er antwortete nicht. Ein überwältigendes Gefühl des Unvermögens und der Verzweiflung überfiel mich. Ich wollte aufstehen. Immer wieder sagte ich »Auf!«, als sei dies das Zauberwort, das mich in Bewegung bringen konnte. Nichts geschah. Mit der Zeit fühlte ich mich sehr frustriert und geriet in Wut. Ich wollte den Kopf am Boden aufschlagen und weinen. Qualvolle Minuten vergingen, in denen ich mich bewegen oder sprechen wollte, aber beides war mir unmöglich. Ich war unbeweglich, wie gelähmt. »Don Juan, hilf mir!« brachte ich endlich heraus. Don Juan kam wieder und setzte sich lachend vor mich. Er sagte, jetzt würde ich hysterisch, und was ich auch immer erlebte, sei nun unwesentlich. Er hob meinen Kopf auf, schaute mich direkt an und sagte, ich hätte einen Anfall eingebildeter Angst und sollte mich nicht aufregen. »Dein Leben wird kompliziert«, sagte er. »Was es auch sein mag, das dich die Nerven verlieren läßt, mach dich davon los. Bleib jetzt ruhig und faß dich wieder.« Er legte meinen Kopf auf den Boden. Er stieg über mich hinweg und ich nahm nichts anderes wahr als das Schlurfen seiner Sandalen, als er fortging. Mein erster Impuls war, mich wieder aufzuregen, aber ich konnte nicht mehr die Energie dafür aufbringen. Statt dessen bemerkte ich, daß mich eine ungekannte Gelassenheit, ein großartiges Gefühl der Leichtigkeit überkam. Ich begriff, was die Kompliziertheit meines Lebens war. Es war mein
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