Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan
zu sein, in erster Linie mit seinem Tod vertraut sein. Und das zu Recht. Die Furcht vor dem Tod zwingt jeden von uns, sich auf unser Selbst zu konzentrieren, und das schwächt uns. Das nächste, was ein Krieger braucht, ist daher das Losgelöstsein. Der Gedanke an den bevorstehenden Tod verliert dann alles Beängstigende und wird etwas Gleichgültiges.«
Don Juan schwieg und sah mich an. Er schien auf eine Antwort zu warten. »Verstehst du mich?« fragte er.
Ich verstand, was er gesagt hatte, aber ich selbst konnte mir nicht vorstellen, wie man ein solches Gefühl des Losgelöstseins erreichen sollte. Ich sagte, ich hätte in meiner eigenen Lehrzeit bereits den Augenblick erlebt, in dem das Wissen zu einer derart furchterregenden Angelegenheit wurde. Auch konnte ich ehrlich behaupten, daß ich mich nicht mehr auf die normalen Voraussetzungen meines täglichen Lebens verlassen konnte. Und ich wollte, ja vielleicht mehr noch, ich mußte lernen wie ein Krieger zu leben. »Dann mußt du dich loslösen«, sagte er. »Wovon?«
»Löse dich von allem.«
»Unmöglich. Ich möchte kein Eremit sein.«
»Wer ein Eremit sein will, der läßt sich gehen, und das habe ich nie gemeint. Ein Eremit ist nicht losgelöst, denn er gibt sich willentlich seinem Eremitendasein hin. Nur der Gedanke an den Tod verhilft einem Mann zu einer so hochgradigen Gelöstheit, daß er sich an nichts mehr hingeben kann. Ein solcher Mann ersehnt nichts, denn er hat eine ruhige Freude am Leben und an allen Dingen des Lebens erlangt. Er weiß, daß der Tod hinter ihm schreitet und ihm nicht die Zeit läßt, sich an irgend etwas zu klammern. Und so versucht er alles und jedes, ohne sich jedoch daran zu hängen. Ein losgelöster Mann, der weiß, daß es keine Möglichkeit gibt, dem Tod zu entkommen, hat nur eines, worauf er sich stützen kann: die Macht seiner Entscheidungen. Er muß sozusagen Herr seiner Entscheidungen sein. Er muß ganz begreifen, daß er für seine Entscheidungen verantwortlich ist, und daß, wenn er sie einmal getroffen hat, keine Zeit für Reue oder Beschuldigungen bleibt. Seine Entscheidungen sind endgültig, einfach weil der Tod ihm nicht die Zeit läßt, sich an irgend etwas zu klammern.
Und so, im Bewußtsein des Todes, losgelöst und mit der Macht seiner Entscheidungen, lebt der Krieger sein Leben wie eine strategische Aufgabe. Das Wissen um seinen Tod führt ihn, hilft ihm, sich zu lösen und gibt ihm Kraft und Gelassenheit. Die Macht seiner endgültigen Entscheidungen befähigt ihn, ohne Bedauern seine Wahl zu treffen, und was er wählt, ist immer strategisch das beste. So tut er alles, was er tun muß, mit Vergnügen und mit frischen Kräften. Wenn ein Mann sich so verhält, dann kann man mit Recht sagen, daß er ein Krieger ist und Geduld erlernt hat!«
Don Juan fragte mich, ob ich noch etwas sagen wolle, und ich bemerkte, daß die Aufgabe, von der er sprach, die Zeit eines ganzen Lebens beanspruche. Er sagte, ich würde mir in seiner Gegenwart zu viele Gedanken machen, und er wüßte, daß ich mich im täglichen Leben wie ein Krieger verhielte, oder mich wenigstens so zu verhalten suchte.
»Du hast recht scharfe Krallen«, sagte er lachend. »Zeig sie mir manchmal. Das ist eine gute Übung.« Ich machte die Geste des Krallenzeigens und knurrte, was ihn zum Lachen brachte. Dann räusperte er sich und sprach weiter. »Wenn ein Krieger Geduld gelernt hat, dann ist er auf dem Weg zu seinem Willen. Er hat gelernt zu warten. Der Tod sitzt neben ihm auf der Matte, sie sind Freunde. Der Tod berät ihn auf mysteriöse Weise, wie er sich entscheiden, wie er strategisch leben soll. Und der Krieger wartet. Ich behaupte, daß der Krieger ohne Eile lernt, weil er weiß, daß er auf seinen Willen wartet. Und eines Tages gelingt es ihm, etwas zu tun, was normalerweise ganz unmöglich wäre. Vielleicht bemerkt er nicht einmal das Außerordentliche seiner Tat. Aber wenn er weiterhin unglaubliche Taten vollbringt, oder wenn ihm immer wieder unmögliche Dinge widerfahren, dann wird ihm bewußt, daß irgendeine Macht in Erscheinung tritt, eine Macht, die aus seinem Körper kommt, während er auf dem Weg des Wissens fortschreitet. Zuerst ist es wie ein Jucken im Bauch oder wie eine heiße Stelle, für die es keine Linderung gibt; dann wird es ein Schmerz, ein starkes Unbehagen. Manchmal sind der Schmerz und das Unbehagen so stark, daß der Krieger monatelang unter Krämpfen leidet, und je schwerer die Krämpfe sind, desto besser für ihn.
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