Eine angesehene Familie
auch wenn man noch nicht genau weiß, ob man sich liebt. Jeder vermied es, in die Nähe der Diskothek ›Number Sex‹ zu kommen, wo alles begonnen hatte. Schließlich war es Monika, die geradeheraus fragte:
»Du hast auch die Sache mit Freddy gelesen?«
»Ja.« Mahlert trank vorsichtig einen Schluck leichten Weins, den Roßkauf ihnen herausgerückt hatte. »Ich habe es im Rundfunk gehört. Er hat sich den Goldenen Schuß gesetzt.«
Monika nickte stumm. Die Wirkung des halben Druckes ließ nach, die schöne sorglose Welt sank langsam zusammen. Der Gedanke an Freddys Tod brannte wieder in ihr und verstärkte ihre Sehnsucht nach einer neuen Nadel voll H. Nein, dachte sie. Er hat sich den Schuß nicht gegeben. Ich habe ihm den Goldenen Schuß gedrückt. Ich habe ihn umgebracht! Freddy wollte nicht sterben, er hat nie daran gedacht, er stand vor einer großen Karriere, in Las Vegas oder New Orleans oder sonstwo in den USA! Makaroff hatte schon die Verträge ausgefüllt. Er wollte drüben weg von der Nadel, er hatte den festen Willen, in den Entzug zu gehen – um meinetwillen. Und was tue ich? Ich setze ihm den Goldenen Schuß. Ich töte ihn! Wie soll ich das je verkraften, Holger? Da kannst du mir auch nicht helfen, das kann ich dir ja alles nicht erzählen, das muß ich mit mir allein ausmachen, das muß ich in mir vergraben, damit muß ich leben wie mit einer heimlichen, verzehrenden Krankheit. Davon kann mich keiner mehr heilen. Ich habe Freddy getötet! Mit einer Nadel! Und Makaroff hat es fotografiert, ganz zufällig. Er hatte ja keine Ahnung, wie stark die Dope war. Ich auch nicht, Holger, woher sollte ich das wissen? Aber ich habe Freddy zu Tode gespritzt. Da ist nichts mehr zu zerreden.
»Warst du dabei?« fragte Mahlert. Monikas Kopf fuhr zu ihm herum.
»Wie kannst du so was fragen?« antwortete sie viel zu laut und hastig.
»Ich dachte nur.« Mahlert lächelte sie begütigend an. »Freddy war doch dein Freund.«
»Ja.«
»Er wollte weg aus der Szene. Und plötzlich macht er so was!«
»Bei Freddy wußte man nie, was er wirklich wollte. Er war eigentlich immer unglücklich, wenn er ohne H war. Er haßte die Nadel, aber er konnte ohne sie nicht mehr leben.«
»So geht es vielen, Monika.« Mahlert trank wieder einen Schluck Wein. »Die meisten resignieren, weil sie glauben, sie kommen nie wieder vom Schuß los. Sie versuchen alles – aber schon bei der ersten Atemnot, bei den ersten Schweißausbrüchen, bei den ersten Entziehungskrämpfen bricht ihr Wille zusammen und sie drücken weiter. Sie sehen die Ausweglosigkeit und stumpfen ab vor diesem Anblick. Für sie hat der Tod keinen Schrecken mehr. Er ist zum Endziel geworden.«
»Ich – ich kann sie manchmal verstehen«, sagte Monika gepreßt. »Alles verliert an Wert, alles ist nur noch ekelhaft … Hat mir Freddy einmal gesagt. – Bist du glücklich, Holger?«
»Im Augenblick wunschlos. Du bist da!« Er tastete nach ihrer Hand und hielt sie fest. Sie war angenehm kühl. Mein Gott, ich habe wieder Fieber, dachte er. Hoffentlich merkt es Monika nicht.
»Und wenn ich wieder weg bin?«
»Dann zehre ich von den Gedanken an dich.«
»Und das reicht dir?«
»Es wäre schrecklich, wenn keine Wünsche mehr offenblieben …«
»Hast du nie das Gefühl gehabt, das ganze Leben sei ein einziger Betrug? Verlogenheit aller gegen alle? Der Mann belügt seine Frau, wie seine Frau ihn belügt, und gemeinsam belügen sie ihre Umgebung, und die Umgebung belügt wieder kreuz und quer alle anderen. Jeder betrügt jeden, selbst die Kinder werden belogen und betrogen und wachsen auf in einem fauligen Sumpf von Betrug und Heuchelei. Du belügst mich, und ich belüge dich – und das alles, diese unendliche Verlogenheit auf Erden, ist ganz normal! – Soll man da nicht verzweifeln?«
»Belügst du mich, Monika?«
»Ja!« sagte sie ehrlich und ohne Zögern. »Es gibt keinen Menschen, der alles sagt! Oh Himmel, wäre das furchtbar! Absolute Ehrlichkeit – das bedeutete Weltuntergang. Das wäre die ganz große Vernichtungskatastrophe. Wenn jeder die Wahrheit sagen würde, jeder Angestellte dem Chef, jeder Politiker seinem Volk, jeder dem anderen ins Gesicht … Es gäbe keine Existenzmöglichkeit mehr für den Menschen!«
»Warum belügst du mich, Monika?« fragte Mahlert ruhig. »Muß das sein?«
»Es geht nicht anders, Holger.«
»Wie ist es mit dem Vertrauen? Wir Menschen sollten Vertrauen zueinander haben wie ein Grashalm zu Sonne, Wind und Regen. Die Natur
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