Eine angesehene Familie
herum und schlug mit der Brieftasche gegen seine dicken Schenkel.
»Hier wird geklaut!« schrie Barrenberg. »In meinem Haus wird geklaut! Aus meiner Brieftasche! Fünfhundert Mark! Am Stück! Ein Fünfhundertmarkschein! Er ist weg! Einfach weg!« Er hielt die Brieftasche Maria vor die Nase. »Geklaut! Einwandfrei geklaut!«
Monika setzte sich auf einen Stuhl und blickte Erna an. Das Mädchen schluchzte ununterbrochen und war zu keiner Entgegnung mehr fähig.
»Überleg mal, Papa«, sagte Monika ruhig. »Überleg ganz nüchtern: Bist du auch sicher, daß du die fünfhundert Mark wirklich in der Brieftasche hattest?«
»Bin ich ein Idiot?« brüllte Barrenberg. Er knallte Monika die Brieftasche auf den Tisch. »Ich bin so sicher, wie ich einen Hintern habe! Ein einzelner Schein! Wären es hundert Mark, da wäre ich vielleicht unsicher. Aber fünfhundert?! Ich habe ihn gestern mitgebracht, bin seither nicht mehr aus dem Haus gegangen und heute morgen fehlt er! Er ist hier geklaut worden! Erna – heulen Sie nicht! Das nutzt Ihnen gar nichts! Der Rock hing an der Garderobe, auf dem Präsentierteller gewissermaßen! Und wer ist außer mir noch im Haus?! Meine Frau. Wollen Sie behaupten, daß meine Frau mich bestiehlt?! Oder meine Tochter? Erdreisten Sie sich zu sagen oder auch nur anzudeuten, Monika habe mir die Brieftasche ausgeraubt? Wer bleibt also noch übrig? Erna Sendenholt! Aus Hanau am Main! Vater ein braver Beamter, Mutter fleißig und redlich – aber die Tochter.«
»Ich war es nicht!« rief Erna und rang die Hände. »Wie soll ich das beweisen? Sie können alles bei mir durchsuchen. Weshalb sollte ich Sie bestehlen?«
»Warum werden Banken überfallen? Sicherlich nicht deshalb, um die Polizei zu blamieren. Das ist nur ein Nebeneffekt! Durchsuchen soll ich? Blödsinn! In diesem Haus gibt es genug Verstecke, die niemand findet! Oder glauben Sie, ich beklaue mich selbst?«
»Ich war es nicht!« Erna blickte Maria und Monika flehend an. »Ich schwöre es!«
»Schwören! Worauf will ein Dieb schwören!«
»Eduard!« sagte Maria tadelnd.
»Fünfhundert Mark am Stück!« schrie Barrenberg. »Ich verdiene mein Geld sauer genug!«
»Ich glaube nicht, daß Erna sie genommen hat«, sagte Monika mit großer Ruhe.
»Du glaubst es nicht?! Dann hat also eine chemische Reaktion stattgefunden, und der Geldschein hat sich zu Gas verflüchtigt.«
»Du kannst ihn verloren haben, Eduard …«
»In der Diele? Am Garderobenhaken? Ich rufe gleich den Papst an und melde das neue Wunder! Als ich gestern ins Bett ging, war der Schein noch da!«
Es half kein Nachdenken, es half auch keine Intervention von Maria und Monika. Barrenberg blieb dabei, daß nur Erna Sendenholt der Täter sein konnte. Alle anderen Überlegungen empfand er als absurd. Endlich hörte er auf zu brüllen, sagte, es habe ja doch keinen Sinn, auf einen letzten Rest von Anstand, nämlich ein klares Schuldbekenntnis zu hoffen und entließ Erna fristlos.
»Damit Sie mir nicht auch noch die Gewerkschaft auf den Hals hetzen – Typen wie Sie arbeiten ja mit diesen Brüdern zusammen, die nichts als stänkern können –, bekommen Sie für zwei Monate Ihren Lohn. Als freiwillige Leistung von mir! Ich könnte das auch gerichtlich klären lassen, aber dazu ist mir meine Zeit zu kostbar! Sie packen sofort Ihre Koffer und dann raus! Meine Frau wird Sie auszahlen. Kein Wort mehr! Zwingen Sie mich nicht, die Polizei zu rufen! Nur mit Rücksicht auf Ihre armen Eltern bin ich so human! Raus jetzt!«
Erna Sendenholt rannte weinend aus dem Speisezimmer. Maria folgte ihr sofort, während Monika sitzen blieb und ihren Vater musterte als sei er ein fremdes Tier. Sie empfand keinerlei Reue Erna gegenüber, allenfalls Mitleid. Und Wut – aber nicht auf sich.
»Du meinst also wirklich, daß du human gewesen bist?« fragte sie.
»Wie bitte?« Barrenberg, der wieder in seiner Brieftasche blätterte, als habe sich der Geldschein doch nur versteckt, fuhr herum. »Human?!«
»Das hast du gesagt! Wenn ihr das Humanität nennt, seid ihr eine total verbiesterte Generation.«
»Es geht um fünfhundert Mark! Sie sind verschwunden! Hier im Haus!«
»Und Erna muß sie haben, nicht wahr?«
»Etwa deine Mutter?«
»Bestimmt nicht!«
»Dann du!«
»Du kannst mich ja filzen …«
»Filzen! Was für ein Ausdruck! In der Gefangenschaft haben wir das so genannt.«
»Eben! Das verstehst du wenigstens! Was kannst du Erna beweisen? Nichts! Du denkst nur, daß sie ein Dienstmädchen
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