Eine angesehene Familie
überwinden, meine Rose.« Petrescu beugte sich vor, zog Bettinas linke Hand zu sich und streifte ihr schnell den Ring über. Sie begann zu zittern, riß aber die Hand nicht zurück. »Morgen nehme ich dich mit.«
»Wohin?«
»Zu George Petrescu! Als meine Frau hast du das Recht, das Haus kennenzulernen, in dem du wohnen wirst. Dann werde ich dich wieder fragen: Willst du mich heiraten? Hast du noch immer Angst vor mir?«
»Und wenn ich sie noch habe?«
»Ich werde mein Leben dafür einsetzen, daß du glücklich wirst …«
Das war am Abend gewesen. Am folgenden Morgen, es war ein sonniger Montag, hielt sich Petrescu nur kurz im Büro auf, telefonierte mit den kurdischen Abgesandten und bereitete sich auf die Ankunft der Lieferanten vor, die halbe Dollarscheine als Ausweis vorzeigen würden. Dann setzte er sich in den Wagen und fuhr ohne Umwege zu seinem Haus.
Das war der unverzeihliche Fehler, der einem Petrescu nicht hätte unterlaufen dürfen. Auf dem Roßmarkt erkannte ihn Maria Barrenberg sofort, als er an ihrem Wagen vorbeifuhr. Er sah konzentriert auf die Straße, hatte die Seitenscheibe offen, der Fahrtwind zerrte in seinen schwarzen lockigen Haaren. Es war ohne Zweifel Makaroff, wenn auch der Wagen ein anderer war, nicht der weiße, sondern ein metallicgrüner.
Ohne zu zögern, fuhr Maria aus der Parklücke heraus und folgte Makaroff. Sie blieb hinter ihm, als er in den großen Kreisel am Osthafen einfuhr und dann die Hanauer Landstraße entlangraste. Sie hielt sich in Sichtweite von Makaroff, als er nach Enkheim abbog und in Richtung Naturschutzgebiet weiterfuhr. Hier, in einer einsamen Waldgegend, in der Nähe des Hünengrabes, lagen verstreut einige Landhausvillen, von Parks umgeben, mit Mauern gesichert, durch meterhohe Hecken vor allen Blicken geschützt. Traumhäuser, von denen selbst Barrenberg sagte, dort müsse sogar aus der Lokusleitung goldgefärbtes Wasser rauschen.
Vor einem dieser Häuser hielt Makaroff. Das schwere Tor öffnete sich elektronisch auf Funksignal, er fuhr in den Park hinein, und das Tor schloß sich hinter ihm wie der Eingang zum Paradies, in dem nur er das Wohnrecht besaß.
Maria Barrenberg fuhr langsam an dem Besitztum vorbei, wendete in einiger Entfernung, kam zurück und las im Vorbeifahren die Nummer.
Nummer 4. Eine Straßenbezeichnung gab es hier nicht. Nummer 4 am Hünengrab …
Neunzig Tage, neunzig Tage und Nächte auf Jagd nach einer vollen Spritze, sind neunzig Höllen, neunzig Paradiese und neunzigmal ein Schnitt ins eigene Leben. Neunzig Tage sind im Leben eines Fixers, wenn er nicht weiß, wie er den nächsten fälligen Druck finanzieren soll, wenn er nicht weiß, wie er ohne die Nadel noch bestehen kann, nichts als ein Zittern um die nackte Existenz, eine lähmende Angst vor dem Augenblick, an dem man eine Spritze braucht und nur einen leeren Glaskolben vor sich sieht. Da können neunzig Tage alle ethischen Werte; alle sittlichen Verpflichtungen sprengen und die Welt so gründlich verändern, daß eine Rückkehr in das normale Leben nur einem Wunder gleichzusetzen wäre.
Monika Barrenberg erlebte mit allen Sinnen im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte und mit gesteigerter Selbstbeobachtung, wie es sie jeden Tag tiefer in den Abgrund zog. Es war kein Sturz, es war eher, als rolle sie eine endlose Treppe hinunter, von Stufe zu Stufe, jeden Tag ein, zwei Stufen.
In ihr Tagebuch trug sie ein:
Ich habe versagt. Das gebe ich jetzt zu. Ich habe immer behauptet, ich sei stark genug, dem H zu widerstehen, es zu dosieren, mich nicht ihm, sondern es mir unterzuordnen. Welch eine Dummheit, welch eine idiotische Illusion! Das Gift packt einen wo und wann es will, je mehr man glaubt, man könne es kontrollieren. Heute ist es so, daß ich nur noch daran denke: Wie bekomme ich für den nächsten Tag meine Dope? Womit bezahle ich es? Und wenn ich dann auf Turkey bin, wenn der Körper aufschreit, bin ich bald so weit wie Freddy, bin ich bereit, das Unmöglichste anzustellen, um eine Nadel voll zu bekommen.
Ich bin ein paarmal mit Bibi losgezogen. Sie ist ein Jahr jünger als ich, aber wenn sie auf den Strich geht, wenn sie die Männer, die sie Böcke nennt, abschleppt und im Auto, in irgendeiner Grünanlage oder im Gravenbrucher Wäldchen für einen ganzen Blauen oder einen kleinen Braunen ›verarbeitet‹, dann ist sie ein eiskalter Profi, als wäre sie schon ein halbes Leben lang ›im Geschäft‹. Bibi hat immer Geld für ihre Drucke, sie ist jetzt sogar in den
Weitere Kostenlose Bücher