Eine angesehene Familie
Draufzufahren. Monika schwang sich auf ihr Moped und setzte sich hinter ihren Vater. Da sie ganz rechts fuhr, sah er sie nicht im Rückspiegel.
Barrenberg fuhr unkonzentriert. Erst am Zoo fuhr er langsamer, fand einen Parkplatz und hielt. Monika machte einen Bogen, versteckte sich dann hinter den Autos und sah ihren Vater, wie er ungeduldig vor seinem Wagen auf und ab ging. Dann fuhr ein kleiner weißer Sportwagen auf den Platz, eine Frau in einem supermodernen Fransenkleid stieg aus, ihr Gesicht wurde von einer großen Sonnenbrille fast verdeckt. Barrenberg eilte ihr entgegen, ergriff ihre Hände und zog sie impulsiv an sich. Die Frau legte plötzlich ihren Kopf auf Barrenbergs Schulter und schien zu weinen.
Das ist sie! So sieht sie aus! Bestimmt nicht schöner als Mama, aber natürlich jünger. Viel jünger! Wie er die Hand um sie legt! Wie er sie streichelt! Er küßt sogar ihren Nacken. Widerlich! Widerlich, Papa!
Monika drückte die Stirn gegen das kalte Blech des Autos, hinter dem sie sich versteckte. Zwanzig Meter vor ihr führte Barrenberg seine Geliebte zum Eingang des Zoologischen Gartens. Im weiten Areal des Zoos war man sicher, hier traf man um diese Zeit keine Bekannten, hier konnte man auch in der Zoogaststätte in aller Ruhe plaudern. Und Mama erzählte man dann von neuen Kämpfen mit den Bauämtern … Oh Papa, Papa, warum tust du das?! Papa, ich kann dich doch keinen Lumpen nennen …
Monika wandte sich ab, ging langsam zu ihrem Moped und fuhr davon. Sie kam sich unendlich einsam vor in einer plötzlich zerbrochenen Welt. Mama darf das nie erfahren, dachte sie und fuhr so miserabel, daß Autofahrer sie anhupten. Mama würde daran zerbrechen. Es gibt keine andere Frau, die ihren Mann so liebt, wie Mama ihren Mann. Sie hat alles für ihn aufgegeben, ihre große internationale Karriere als Pianistin, den Ruhm, den Beifall der Welt. Und jetzt betrügt Papa sie! Mit einer Jüngeren. Im Fransenkleid. Mit knallroten Stöckelschuhen! Ein Gesicht – nur eine Sonnenbrille …
Papa, merkst du denn nicht, wie lächerlich du neben ihr wirkst?!
Papa, hast du das nötig …?
Die Diskothek ›Number Sex‹ sieht am Tag so aus, wie alle Schuppen dieser Art. Am Morgen, ohne Lichteffekte, ohne die zuckenden Leiber der Tanzenden, ohne den Krach aus den Boxen, ohne den Geruch von Tabakrauch, Schweiß, Parfüm und Alkohol wirkt so ein Lokal wie eine Abstellkammer für Gerümpel. Nur die Putzfrauen sind am Werk, Gläser werden gespült, Spiegel, die die Lichteffekte bewirken, werden geputzt, die Toiletten geschrubbt.
Monika hatte Glück; die Tür von ›Number Sex‹ war nur angelehnt. Sie ging durch den Schlauch mit der Garderobe und kam in einen großen Raum, in dem trübe ein paar Lampen brannten. Die Stühle standen auf den Tischen, an der Bar polierte ein langmähniger Typ die Zapfhähne, eine krummrückige Putzfrau saugte den Plüschbelag in den Ecken.
»Zwölf Stunden später, Baby!« rief der Typ an der Bar. »Jetzt gibt's nur Limonade mit Schnuller. Zisch ab!«
»Weißt du, wo Freddy wohnt?« fragte Monika, so, als sei das völlig normal.
»Warum denn?« Der Typ unterbrach sein Hähnewienern.
»Weißt du's – oder nicht?«
»Was soll das?«
»Ich will zu ihm.«
»Du bist wohl bescheuert?!« Der Typ tippte sich an die Stirn. »Der liegt aufm Sack und träumt von Pipi Immerbums! Morgens ist der schlaff wie 'n Strumpf. Da kannste dir nichts holen! Mach 'ne Fliege!«
»Ich muß wissen wo er wohnt!« sagte Monika. Sie trat näher und streckte geheimnistuerisch den Kopf vor. »Ich habe einen ganzen Afghanen für Freddy.«
»Mach keinen Scheiß!« Der Typ wurde unruhig. »Zeig her!«
»Nein!«
»Ich geb' dir 200 Mäuse dafür.«
»Nicht für 500. Es ist für Freddy. Also, wo wohnt er?«
»Wohnen ist gut!« Der Typ grinste breit und musterte Monika mit einem klebrigen Blick. »Er hat 'ne Bude in einem Abbruchhaus im Westend. Zweiter Stock. Jetzt schläft er noch. Aber gegen Mittag, da muß er einen drücken. Da kommste gerade richtig. Können wir den Drop nicht teilen?«
»Nein! Und jetzt die Straße! Los, spuck dich aus! Ich will in deinem Saftladen nicht Wurzeln schlagen!«
Das war gekonnt gesagt. Monika wunderte sich selbst darüber. Wenn Mama das hören würde … Sie verstünde die Welt nicht mehr.
Das Haus, in dem Freddy wohnen sollte, stand schon lange zum Abbruch bereit. Es war eines jener Häuser, die der Besitzer nach langem Kampf leergekündigt hatte, um auf dem Grundstück ein
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